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Archiv-Artikel

Papa macht Comics

BIRMA-COMIC Der kanadische Zeichner Guy Delisle hat die Comic-Reportage neu erfunden

Guy Delisle

Der Kandier: Der Comicautor wurde 1966 in Quebec geboren. Studierte Kunst in Toronto. Arbeitete für verschiedene Animationsstudios in Montreal und Europa bei der Herstellung von Trickfilmen. Lebt heute in Montpellier, Frankreich.

China + Nordkorea: 2001 erschien seine Graphic Novel „Shenzen“ und 2003 „Pjöngjang“.

Chroniques Birmanes: Mit seiner Frau, die bei Médecins Sans Frontières tätig ist, ging er 2005 für 14 Monate nach Birma. Davon berichtet sein nun auf Deutsch bei Reprodukt erscheinendes Werk. www.guydelisle.com

VON CHRISTOPH HAAS

Na, so etwas: Nur ein paar Straßen weiter wohnt Aung San Suu Kyi! Als der Comicautor Guy Delisle zufällig davon erfährt, packt er sofort seinen kleinen Sohn in den Buggy und marschiert los. Aber leider ist auf der Straße, die am Anwesen der unter Hausarrest stehenden Friedensnobelpreisträgerin vorbeiführt, ein Checkpoint errichtet. Soldaten lassen niemanden durch. Auch keinen Ausländer, der hartnäckig vorgibt, nicht zu verstehen, was die Aufregung soll.

Erst als die Sperrung ein paar Wochen später aufgehoben wird, braust Delisle im Auto an der hohen Mauer vorbei, um „der bekanntesten politischen Gefangenen der Welt“ ein aufmunterndes „Juuuhu! Aung San, hier sind wir!“ zuzurufen.

Ein Jahr in Rangoon

„Aufzeichnungen aus Birma“ ist das jüngste von drei Werken, mit denen Delisle in den letzten zehn Jahren zum Ostasien-Experten der internationalen Comic-Szene aufgestiegen ist. Ein Jahr hat er in Rangoon verbracht. Seine Frau nahm für Ärzte ohne Grenzen an einer Mission im Südosten des Landes teil.

Von China und Nordkorea berichtet er bereits in den Alben „Shenzen“ und „Pjöngjang“. Die französische Zeichentrickproduktion wurde in den Neunzigern in Billiglohnländer verlegt. Delisle, ein gelernter Animationszeichner, reiste mit, um den einheimischen Zeichnern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Sein Aufenthalt in Shenzen führte den gebürtigen Kanadier bereits zum zweiten Mal ins Reich der Mitte. Von seiner ersten Reise war ihm, wie er im Gespräch mit der taz erklärt, kaum etwas in Erinnerung geblieben. Doch beim zweiten Mal begann er sich Aufzeichnungen zu machen.

Auf der rechten Seite eines Notizbuches notierte er den Tagesverlauf, links Anekdoten und Zeichnungen. So entwickelte er seine Methode. Nach Hause zurückgekehrt, wertete er das Konvolut aus: „Zunächst fertigte ich ein paar Kurzgeschichten für das avantgardistische Comic-Magazin Lapin. Den Lesern hat das gut gefallen und so machte ich ein richtiges Album daraus.“

In keiner seiner Reportagen beansprucht Delisle dabei ein erschöpfendes Bild des jeweiligen Landes zu zeichnen. Er ist offen gegenüber allen möglichen Eindrücken – Kulinarisches spielt ebenso eine Rolle wie Politisches –, und er weiß um das zwangsläufig Fragmentarische seiner Schilderungen.

Er versucht aber auch, sich nicht in Beliebigkeit zu verlieren. In jedem Album gibt es einen deutlich erkennbaren Leitfaden. In „Shenzen“ ist es die Erfahrung der Fremde. Der Reisende muss feststellen, dass die Globalisierung, die ihn an diesen Ort der Welt versetzt hat, keineswegs auch bestehende kulturelle Schranken beseitigt.

So bleibt dem Europäer schlichtweg Manches undurchschaubar – und seien es die Feinheiten des chinesischen Humors.

Das Pars-pro-toto-Prinzip

In „Pjöngjang“ und „Aufzeichnungen aus Birma“ geht es immer wieder um die bedrückenden, aber auch kuriosen Erfahrungen, die das Leben in einer Diktatur mit sich bringt. So bemerkt Delisle in Nordkorea, dass die an Zimmerwänden allgegenwärtigen Porträts von Kim Il Sung und Kim Jong Il oben einen dickeren, längeren Rahmen haben als unten.

„Dies verhindert einerseits Lichtreflexe, die die Betrachtung der Sonne des 21. Jahrhunderts und ihres ehrenwerten Abkömmlings stören könnten, und andererseits wirkt durch die Neigung der Blick intensiver, wenn man sich in die Augen sieht.“ Ein Detail steht für das Ganze, darin ist der Zeichner ein Meister. Das Pars-pro-toto-Prinzip ist ihm schlüssiger Ersatz der systematischen Analyse.

Der Boom der gezeichneten Reportage, der sich seit einigen Jahren beobachten lässt, dürfte in deren hybridem Charakter begründet sein. Sie ist dokumentarischen Formen verwandt, wie der Biografie, dem Erziehungs-Strip et cetera, vermeidet aber die Tendenz zu spröder Lehrhaftigkeit und exzessiver Nabelschau. Das sensible Ich und die weite, schöne, schreckliche Welt, die von ihm unabhängig existiert – in der Comic-Reportage kann beides zu seinem Recht kommen.

Delisle schreibt ihr außerdem eine spezifische Form von Ehrlichkeit zu: „Wenn mit einer Filmkamera gearbeitet wird, bleibt der Journalist unsichtbar. Er gleicht einem sprechenden Gott und gibt vor, zutreffende, präzise Informationen zu vermitteln. Ich aber zeige mich und meine jeweilige Situation.“ In den „Aufzeichnungen aus Birma“ tritt der Autor primär als Papa in Erscheinung, der mit seinem Kind spazieren geht. „Das ermöglicht dem Leser, die Begrenztheit meines Blickes kritisch zu reflektieren“, so Delisle.

Der Zeichenstil Delisles hat sich im Laufe der Alben verändert. In „Shenzen“ sind die Bilder in dunklen, kontrastarmen Tönen gehalten. „Pjöngjang“ und vor allem die „Aufzeichnungen“ wirken heller und skizzenhafter. Delisle beruft sich hierbei auf seine konkreten Erfahrungen beim Reisen. Im chinesischen Shenzen sei es sehr heiß und alles andere als sauber gewesen. Es gab jede Menge Staub und Dreck. Um das wiederzugeben, habe er Wachsmalstifte verwendet, „die auf dem Papier einen Eindruck von Fett und Dreck hervorrufen“.

Die paradiesische Schönheit der birmanischen Landschaft zu zeichnen, hat Delisle sich versagt

Der Hausmann im Comic

Die Bilder, die Pjöngjang zeigen, sollten dagegen „sehr clean“ sein. Also zeichnete er in deutlichen Schwar-Weiß-Kontrasten, viel Weiß, feine Linien und saubere Schatten.

Verändert hat sich auch Delisles Art, den narrativen Rhythmus zu variieren. In „Shenzen“ wird das rasante Wachstum der Wirtschaftswundermetropole öfter in Bildern dokumentiert, die bis zu einer ganzen Seite einnehmen. Wie die stilllebenhaften Einstellungen in den Filmen Yasujiro Ozus haben sie ihre eigene Schönheit und fordern den Leser auf, den Lesefluss entschieden zu verlangsamen.

In den „Aufzeichnungen aus Birma“ findet sich die genau entgegengesetzte Lösung. Die Schilderung von drei privaten Exkursionen, die der Künstler und seine Frau von Rangoon aus unternehmen, sind in kleinen, locker hingeworfenen Panels eingefangen, die sich schnell lesen lassen und die Hektik touristischer Unternehmungen treffend karikieren. Die paradiesische Schönheit der birmanischen Landschaft zu zeichnen, hat Delisle sich versagt.

Derzeit plant er mit seiner um ein weiteres Kind gewachsenen Familie ein Jahr nach Jerusalem zu gehen. Eine Comic-Reportage soll daraus aber nicht erwachsen. Er fürchte sich davor, sich zu wiederholen. „Über mein Leben als Hausmann und Vater in einem anderen Land habe ich jetzt schon im Birma-Comic gesprochen,“ sagt Delisle. Außerdem sei ihm das Politische zwar immer wichtiger geworden, aber er möchte sich nicht daran ausliefern. „In meinen Alben soll es eine Mischung aus Ernsthaftem und Lustigem geben – ob dies möglich ist, wenn von Israel die Rede ist, erscheint mir fraglich.“

Eine Flucht in die Ungegenständlichkeit ist aber nicht zu befürchten. Als Nächstes plant Delisles den authentischen Fall eines Mannes zu erzählen, der in Tschetschenien zum Kidnapping-Opfer wurde.

Alle, die etwas über die Welt hinter den Schlagzeilen erfahren wollen, werden in diesem Comic-Zeichner auch in Zukunft einen Verbündeten haben.

■ Guy Delisle: „Aufzeichnungen aus Birma“. Aus dem Französischen von Kai Wilksen. Reprodukt Verlag, Berlin 2009, 265 Seiten, 20 €