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Archiv-Artikel

Geht dir der Hoch huth?

Wie sich ein erledigter Fall im Gewäschgewerbe ein bisschen Aufmerksamkeit erbettelte

Skandalgebrüll zu 50 Cent abwärts gibt es mindestens zwei- bis dreimal pro Woche. Man bekommt das Zeug nachgeworfen, wenn man sich nicht duckt, klebt es einem sonst wo. Den durchschnittlichen Zeitungs-, Radio- und Fernsehredakteur treibt der Wunsch nach Rache: Weil er einer so entsetzlichen, auslöschenden Tätigkeit nachgeht, sollen die anderen aber gefälligst auch kein schönes Leben haben dürfen und werden mit der Nichtigkeit und Gemeinheit beballert, von denen er sich Tag für Tag ernährt.

Möchte nicht einmal jemand exemplarisch eine Zeitung oder einen Sender anzeigen? Mit der Begründung, dass die fortwährend und aus nachweislich niedrigsten Motiven ausgegossene hysterische Dummheit eine erhebliche Minderung der Lebensqualität bedeutet? Wenn sich beweisen lässt, was jeder aus persönlicher Empirie weiß, dass nämlich der systematische Bewurf mit medialem Dung nicht ohne Folgeschäden bleibt, gibt es demnächst hübsche kleine Warnschilder wie in Zigarettenschachteln: „Kerner verursacht Übelkeit und Erbrechen“, „Die Lektüre dieses Spiegel-Artikels befördert Niedertracht und Gewaltbereitschaft“, „Christiansen zerstört Ihr Gehirn“. Nicht, dass es etwas änderte, aber eine Deklarationspflicht für Schreischleim wäre zumindest lustig. Die Regel gälte selbstverständlich für alle, denn auch die mit dem Oxymoron „Qualitätsmedien“ selbstetikettierten Organe sind mit von der Partie beim Sau-durchs-Dorf-Treiben.

Welches Stück lief zuletzt in Deutschland? Hitler mit Nonne, anal? Nicht ganz: Rolf Hochhuth hatte mit der Jungen Freiheit geredet. Was Wunder – mit wem soll er denn sonst reden? Oder, genauer: Wer sonst will mit Rolf Hochhuth reden? Und worüber denn auch? Hochhuth versucht seit Jahren und mit allen Mitteln, im Geredegeschäft wieder Fuß zu fassen. Ein bisschen gelang ihm das auch diesmal: Der Tagesspiegel pumpte das Gespräch zwischen dem 73-jährigen Hochhuth und den Nachwuchsnazis zum Skandal auf. Als andere Medien nicht gleich mitzogen, schnappte der Tagesspiegel ein und unterschob jedem, der nicht auf Hochhuths armselige Nummer hereingefallen war, eine gefährliche Toleranz gegenüber Rechtsradikalen.

Dabei ist es strategisch richtig, diese Sache nicht aufzugreifen. Man muss nicht an jeder Mülltonne schnuppern und für die Junge Freiheit nicht mit aufgeregten Artikeln Reklame machen. Wer der Zeitung für Akademikernazis sogar als Interviewpartner zur Verfügung steht wie Egon Bahr, Peter Glotz, Eckhard Henscheid u. a., sagt damit vor allem etwas über den Zustand seines eigenen Kopfes.

Das tut auch Hochhuth – der längst ein erledigter Fall ist, aber notorisch auf unverdient erworbene Meriten hinweist. 1963 veröffentlichte er das Stück „Der Stellvertreter“, das die Rolle der katholischen Kirche und des Papstes bei der nationalsozialistischen Massenvernichtung thematisiert. Seitdem gilt Hochhuth als politischer Schriftsteller mit Dickdenkerbonus. Hannah Arendt wusste es besser und schrieb über Hochhuth, er sei „nicht sehr intelligent. Ganz zu schweigen von begabt.“ Auch in den beiden Deutschlands war mancher klüger, als es im Einheitsbetrieb seit 1989 erlaubt ist. Heinar Kipphardt schrieb im November 1967 an Peter Hacks: „Die ganze Dummheit findest Du in dem Hochhuth konzentriert.“ Hacks bestätigte das und gab noch eine Kurzanalyse des Kulturbetriebs mit: „Der Hochhuth ist der Dummkopf der Welt, aber ich finde ungerecht von den Kritikern, dass sie ihn dafür büßen lassen, dass sie den ‚Stellvertreter‘ überschätzt haben.“

Der Mangel an Wissen und Erinnerungsvermögen rächt sich, bis heute. Nur wer ohne Gedächtnis ist, kann die Junge Freiheit „rechtsgerichtet“ nennen; nach dieser Lesart wäre dann auch Goebbels „rechtsgerichtet“. Auch Nazis mit Abitur sind Nazis. Aber erklären Sie das mal einem deutschen Kulturredakteur. WIGLAF DROSTE