KOSOVO: DUBIOSER REGIERUNGSCHEF HARADINAJ UNTER ANKLAGE
: Politik mit juristischen Gründen

Viele haben es ihm gewünscht, nicht nur in Serbien, auch in der internationalen Gemeinschaft und in Deutschland. Jetzt hat Ramush Haradinaj, Regierungschef des Kosovo und einer der prominentesten Vertreter der kosovo-albanischen UÇK, die Anklage des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien ereilt. Haradinaj ist daraufhin zurückgetreten. Der Vorgang wirkt ausgewogen: Zuvor hatte sich Momčilo Perišić, der ehemalige Stabschef der jugoslawischen Streitkräfte, dem Gericht gestellt. Die Anklage gegen Haradinaj stellt sicherlich ein Zugeständnis des Tribunals an die Regierung in Belgrad dar. Sie wiederum kann jetzt an den Verhandlungstisch zurückkehren – in wenigen Monaten sollen ja die Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo beginnen. Und die internationale Gemeinschaft will Belgrad dabei mit am Tisch haben.

Dass das UN-Tribunal eine wichtige politische Rolle nicht nur bei der Aufdeckung der Verbrechen in allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens spielt, sondern auch ein Hebel für die Demokratisierung und die Etablierung eines modernen Rechtssystems in diesen Staaten ist, sollte nicht kritisiert werden. Doch manchmal stößt die politische Regie auf Unbehagen, wenn hinter juristischen Argumenten eine so kurzfristig angelegte politische Regie sichtbar wird. Sicherlich: Ob jetzt der Exguerilla-Kämpfer mit Massenmördern auf eine Stufe gestellt werden kann, wird das Gericht herausfinden. Für die Status-Verhandlungen ist es jedenfalls nicht schlecht, wenn zweifelhafte Personen am Verhandlungstisch fehlen.

Die Anklage lag schon vor Haradinajs Vereidigung als Ministerpräsident im letzten Herbst in der Luft. Die UN-Mission im Kosovo hätte diesen Amtsantritt verhindern müssen. Jetzt kann sich Haradinaj zudem der Verantwortung für seine mafiösen Verstrickungen nach dem Krieg entziehen und sich als Märtyrer präsentieren. Für die Zukunft Kosovos ist aber entscheidend, dass der neue Staat nicht nur von Kriegsverbrechern, sondern auch von der Mafia befreit wird.

ERICH RATHFELDER