BRITZER GARTEN
: Schatten im Wasser

Ein graues Etwas wirft einen großen Schatten

Hannah will heute Blumen und Tiere sehen. Den Streichelzoo auf der Hasenheide kennt sie schon – außerdem hüpfen da immer noch versprengte Punks von der versuchten Tempelhofbesetzung herum; wahrscheinlich haben die sich mit ihren Bolzenschneidern längst zum Babylama Andor durchgekämpft.

Also hakt Hannah auf der Berlinkarte die Orte ab, an denen wir schon waren. Es bleibt der Britzer Garten. Wir brausen stumm die Karl-Marx-Straße im Kleinwagen hinunter, kreuzen die Hufeisensiedlung und biegen kurz vor Buckow in die Mohringer Allee.

Hannah ist heute nicht gut auf mich zu sprechen – ich habe den zweiten Jahrestag unseres Zusammenkommens vergessen. Deshalb das Tier- und Wiesenprogramm als Wiedergutmachung. Wir geben uns als Potsdamer Studenten aus und kommen für den halben Eintritt auf das ehemalige Bundesgartenschaugelände. Eine „rhizomatische“ Brücke führt über die vier Ausläufer eines künstlich ausgekofferten Sees. Ganz schön trickreich gemacht, sage ich zu Hannah. Doch die will Enten füttern und Blesshühner bestaunen.

Am Café am See, einer Mischung aus Raumschiff und Höhle, feiert ein polnisches Pärchen Hochzeit. Einer der Feiertagsgäste, viele Kinder im Schlepptau, steht mit einer Tüte voller Brotreste am Ufer. „Kinder“, sagt er auf Polnisch, „nur zu!“ Und wirft Krumen ins Wasser. Es dauert nicht lange, und die Enten nähern sich im Tiefflug. Spektakuläre Wasserlandung und das Brot flugs in den Schnabel. Mehr und mehr Enten erheischen die Futtergaben. Doch plötzlich werden ihre Schatten auf dem Grund immer größer. Ein Kind steckt den Enten ein Stück Brot entgegen. Ein graues Etwas hebt einen schleimigen Kopf aus dem Wasser: ein Karpfen! Er schnappt nach der Hand, das Kind schreit. Die Schatten unter den Enten, merken wir jetzt, sind allesamt 10 bis 20 Kilo schwere Fische. TIMO BERGER