: Fauler Apfel BRD
Das Gorki Theater führte seinen DDR-Countdown fort. Diesmal ging es – aus der Sicht seines Enkels – um den legendären Nachkriegs-Intendanten Wolfgang Langhoff
Im Studio des Maxim Gorki Theaters kann man zurzeit in kleinen Themenabenden durch 40 Jahre DDR-Geschichte reisen. Heute steigen wir im Jahr 1963 aus, das einen kulturpolitischen Sündenfall der DDR markiert. Damals musste der legendäre Nachkriegs-Intendant des Deutschen Theaters, Wolfgang Langhoff, seinen Posten räumen. Er hatte im Jahr zuvor ein Gegenwartsstück seines jungen Dramaturgen Peter Hacks uraufgeführt, der damit treulich den von der Partei gewiesenen „Bitterfelder Weg“ beschreiten wollte, welcher von Autoren unter anderem verlangte, in ihren Arbeiten doch bitte aus der Produktion zu berichten, um die herausragende Stellung der Arbeiterklasse auch dramatisch zu würdigen. „Die Sorgen und die Macht“ beschrieb dann Probleme aus der Produktion des frisch eingemauerten Arbeiter- und Bauernstaates, an denen er später zugrunde gehen sollte – wie Qualitätsmängel, Misswirtschaft und mangelnde Arbeitersolidarität
Doch beratungsresistent, wie sie nun mal waren, empfanden Ulbricht und Co. diese freundlich formulierte Kritik als Verunglimpfung. Strafverschärfend kam für sie hinzu, dass Hacks Alltagsrealität der DDR gegen die sozialistische Utopie ausgespielt hatte und seine Sicht ausgerechnet von einer Parteisekretärin verkünden ließ. Peter Hacks verlor seinen Job und schrieb fortan keine Gegenwartsstücke mehr. Wolfgang Langhoff, Kommunist durch und durch, brach die demütigende Kampagne das Herz und er starb 1966.
Die Leitung des heutigen Abends nun hat Enkel Lukas, Jahrgang 1964. Eine höchst persönliche Auseinandersetzung mit dem Großvaterschicksal? Nur im Programmheft findet sich ein Interview, das Bettina Röhl im Januar mit Fritz J. Raddatz führte, der darin von den vom Stalinismus gebrochenen Charakteren der großen antifaschistischen Kulturfiguren der Künstlerelite der frühen DDR spricht. Das ist vielleicht als Enkel-Statement zum Großvater gedacht, der Sozialismus und Partei bis zur Selbstzerstörung ergeben war. Sonst wird das Thema nicht behandelt.
Langhoff lässt echte Berliner Gymnasiasten mit einer Lehrerin (von der Schauspielerin Ursula Werner gespielt) einen Klassenraum betreten. Zeitpunkt: Irgendwann in naher Zukunft. Das Maxim Gorki Theater ist abgewickelt und zum Museum umfunktioniert. So jedenfalls erklärt es die Lehrerin. Die Schüler nehmen an ihren Pulten Platz, hören, dass in der DDR Theater so toll war, weil auf der Bühne Sachen gesagt wurden, die nie in der Zeitung standen. Dann lesen sie mit verteilten Rollen Hacks’ „Die Sorgen und die Macht“, das die Geschichte von zwei konkurrierenden Arbeiterkollektiven erzählt, die durch Produktionsbedingungen und die Liebe miteinander verbunden sind.
Zwischendurch stellt die Lehrerin Fragen. Zum Beispiel was ein Kollektiv oder was Sozialismus ist. Die Schüler haben natürlich wenig Ahnung, weshalb die Lehrerin alles erklären muss. Manchmal klingt sie dabei wie Hacks’ Parteisekretärin, die einst so viel Anstoß erregte. Doch in ihren Erklärungen scheint die DDR so rosig wie der Traum von einer besseren Welt. Natürlich erklärt die Lehrerin auch, dass man in der DDR eingesperrt oder des Landes verwiesen werden konnte, wenn man Kritik übte, wie zum Beispiel Rudolf Bahro oder Wolf Biermann. Von Hacks, der einst aus München nach Ostberlin ging, weil er lieber in den sauren Apfel DDR als in den faulen Apfel BRD beißen wollte, und Wolfgang Langhoff, auch vom Schicksal der Urinszenierung dieses Dramas erzählt sie nicht.
Stattdessen malt sie ein düsteres Bild von Gegenwart und Zukunft im Deutschland unserer Tage, über die holzschnittartige Dämonen wie George W. Bush und Schröders Hartz IV ihre bedrohlichen Schatten werfen. Im Gegensatz dazu leuchten Ulbrichts und Honeckers Sünden in sanftem Pastell. Man staunt und fragt sich, warum Lukas Langhoff das Thema eigentlich bearbeitet hat, wenn er keinen Familienblick darauf werfen wollte. Oder ob man am Ende etwas übersehen hat?
ESTHER SLEVOGT