Die Putzfrau mit den Salonkrallen

Brigitte Mira, spät berufene Charakterdarstellerin, schräge Soubrette und Berliner Boulevard-Schlachtross, ist tot

Diese Fingernägel! Gerade hat sich Brigitte Mira mit ihren Kolleginnen vom Putzgeschwader auf die Treppenstufen gesetzt – die anderen ein bisschen abseits von ihr, kühl, distanziert –, und sie schnüffelt in ihr Taschentuch hinein. Die anderen neiden ihr die späte Liebe – noch dazu die Liebe zu einem20 Jahre Jüngeren. Einem Marokkaner! Jetzt sind sie muksch zu ihr, und Brigitte Mira versteht die Welt nicht mehr. Eine Rolle mit viel Empathie, großes Melodram der Arbeiterklasse. Wären da nicht Miras Fingernägel! Lang sind sie, sehr lang, bestens manikürt, echte Salonkrallen, nicht gemacht fürs Putzwasser.

Lupenreines Actor’s Studio war Miras Auftritt in Fassbinders „Angst essen Seele auf“ (1973) also nicht, eher schon Brecht’sches Verfremdungskalkül: Glotzt nicht so romantisch, ist alles nur Kunst! Große Kunst allerdings, vielfach preisgekrönt, Brigitte Miras später Aufstieg zur Charakterschauspielerin. Eine echte Entdeckung für alle, die Mira als Berliner Boulevard-Schlachtross kannten und ihr anderes auch nicht zutrauten. Nicht die Rollen unter Peter Zadek am Bochumer Schauspielhaus, nicht die Putzfrau aus „Angst essen Seele auf“, nicht die „Mutter Küster auf der Fahrt in den Himmel“ (1975).

Fassbinder, hat Brigitte Mira gelegentlich geäußert, hätte ihr noch einige goldene Filmbänder verschafft, wenn er nicht so jung gestorben wäre. Stattdessen kamen die notorischen „Herz mit Schnauze“-Rollen, kamen die „Damen vom Grill“.

Für jüngere Zuschauer wiederum war die singende Mira eine Entdeckung, die schräge Soubrette mit unüberhörbar ausgebildeter Stimme, die aus jedem Wackler noch eine Selbstparodie zauberte und selbst mit über 90 Jahren ohne Mühe die deutlich jüngeren Kolleginnen von den „Drei alten Schachteln in der Bar“ an die Wand zwitscherte. Unvergessen, wie sie nach der am Ende doch sehr hinfälligen Evelyn Künneke auf die Bühne tänzelte, sich genussvoll und sehr ausgiebig in den Hüften wiegte und schließlich ins Publikum flötete, ob sie nicht herrlich schlank geworden sei in letzter Zeit.

Ein einziges Mal habe ich mit ihr selbst gesprochen, am Telefon, und die Mira bot ein Kabinettstückchen ihres Könnens. Auf eine schriftliche Interviewanfrage hatte sie wochenlang nicht reagiert. Es sollte um ihre Rolle als „Miese“ in den „Liese und Miese“-Filmen gehen – ein spannendes Kapitel des NS-Films, gerade weil der Versuch, Propaganda und Kabarett zu mischen, so grandios gescheitert war, nicht zuletzt an ihr. Der letzte Versuch also: ein Anruf. Am anderen Ende der Leitung ein tattriges Ömchen, das nicht recht verstand, verwirrt schien und den Eindruck erweckte, ein Interview mit ihr sei nicht mehr sinnvoll. Wenige Tage später sah ich sie live in einer Talkshow: wach, spritzig, schlagfertig. „Biggi“ in ihrem Element. Die Miese hing ihr wohl zum Hals raus.

Am Dienstag ist die Unverwüstliche gestorben, 94-jährig. In Berlin, wo sonst. Den herrlichsten Kommentar zu ihrem Tod gab Ilja Richter ab: „Ich dachte, sie ist unsterblich – und nun das!“ REINHARD KRAUSE