: Mein Geschlecht bin ich
GENDER Das deutsche Transsexuellengesetz ist diskriminierend. Doch dank professionalisierter Aktivität rückt Trans* zunehmend auf die Agenda
■ ist freier Journalist, Filmemacher und Vorstand von TransInterQueer e. V. Heute um 14 Uhr diskutiert er im Rahmen des Gender Happening (6. bis 11. 7.) der Heinrich-Böll-Stiftung das Thema „Queere Lebensweisen“. Mehr Infos unter www.gwi-boell.de.
Als „schwangerer Mann“ erlangte der US-Amerikaner Thomas Beatie im vergangenen Jahr weltweit Aufmerksamkeit. Die Geburt seiner zwei Kinder wäre in Deutschland nicht möglich gewesen. Denn das deutsche Transsexuellengesetz (TSG) schränkt die Rechte von Trans*-Menschen ein: Für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsangleichung wird dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit, also eine Zwangssterilisation verlangt.
Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2005 als verfassungswidrig reklamiert. Zwar wird also erkannt, dass das TSG reformbedürftig ist. Doch der medizinische Eingriff, der die UN-Menschenrechtscharta und das im Grundgesetz verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit massiv verletzt, wird auch in einer Neufassung des TSG nicht zur Debatte stehen. Zu sehr stehen tradierte Vorstellungen von „Elternschaft“ und „Geschlecht“ infrage, zu verstörend wirkt noch immer das Bild eines schwangeren Mannes, zu groß noch immer das Verlangen nach Eindeutigkeit der Körper.
Zwar klingt das TSG wie aus Unzeiten menschenverachtender Körperpolitik, geht aber auf das Jahr 1980 zurück, als das BVerfG reklamierte, für Trans*-Menschen müssten einheitliche Regelungen getroffen werden, die ihnen eine Geschlechtsangleichung ermöglichen.
Gesteigerte Sichtbarkeit
Doch das TSG steht nach fast 30 Jahren zur Diskussion. Trans*-Aktivisten zahlreicher Initiativen haben Gegenentwürfe entwickelt, die bundesweit Zustimmung von Experten, Trans*-Menschen und dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland finden. Die vormals pathologisierte Minderheit entwickelt sich zur schlagkräftigen sozialen Bewegung. Raus aus der Rolle der gesellschaftlich stigmatisierten Randgruppe, hin zu kompetenter Aufklärung, wachsender Infrastruktur, professionalisierter Beratungs- und Lobbyarbeit.
Wie viele tausende als trans* definierte Personen in Deutschland leben, ist nicht bekannt. Veraltete Zahlen von 1983 sprachen von etwa 8.000. Diese Zahl umfasste jedoch nur Menschen, die bereits geschlechtsangleichende Operationen hinter sich hatten und sich überdies für die Erhebung als trans* outen wollten. Heute, mit gesteigerter Sichtbarkeit von Trans*-Aktivisten und einer verbesserten Infrastruktur aus politischer Lobby, Beratungsstellen für Trans*-Menschen und deren Angehörige, schulischen Aufklärungsprojekten, Broschüren, Gestaltern aus der Kunst- und Kreativszene, wird die Zahl um ein Vielfaches höher sein. Gerade in Berlin haben sich zunehmend „trans safe spaces“ entwickelt, die ein Outing erleichtern sollen – allen rechtlichen Erschwernissen zum Trotz.
Zahlen aus Spanien, die belegen, dass 50 Prozent aller Trans*-Menschen arbeitslos sind, oder eine Studie von Transgender Europe, die erschreckende Ergebnisse über die medizinische Versorgung in zahlreichen europäischen Ländern liefert, verschärfen die Notwendigkeit vereinfachter, grundgesetzkonformer Regelungen im TSG – zur Steigerung der Lebensqualität, Zugang zu Arbeit und rechtlicher Absicherung. Vor allem ist notwendig: eine unkomplizierte Änderung des Vornamens in einen des als zugehörig empfundenen Geschlechts. Stellt sich etwa „Michael“ mit seinem noch auf „Sabine“ laufenden Pass einem potenziellen Arbeitgeber vor –, hat er keine Chance auf die Stelle. Die aufwändigen Vorgaben zur Vornamensänderung stehen seinem ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt im Weg.
Häufig noch tun sich Medien schwer mit adäquater Berichterstattung über Trans*-Themen, brandmarken Transsexualität gerne als „exotisch“: Transfrauen werden fälschlich mit Transvestiten verwechselt. Chaz Bono, Sohn der US-Künstlerin Cher, der sich im Juni 2009 als Trans* geoutet hat, gilt fälschlich als „lesbische Tochter“. Oder, hübsch mystisch: „Diese Frau will keine mehr sein. Sie will sich in einen Mann verwandeln.“ Auch, dass Trans* einzig mit geschlechtlicher Identität und nichts mit sexueller Orientierung zu tun hat, muss von Aktivisten stets aufs Neue erklärt werden – auch Chaz Bono wird mutmaßlich weiterhin Frauen lieben, wenn er es schon seit 20 Jahren tut. Spätestens seit den Berichten über Lorielle London, deren Teilnahme am „Dschungelcamp“ Schlagzeilen wie „Oben Frau und unten Mann“ lieferte, äußert sich der Deutsche Presserat unmissverständlich gegen eine Berichterstattung, die verächtlich macht, sprachlich und sachlich falsch arbeitet und Stereotype bedient.
Mehr als Grundrechte
Der Deutsche Presserat und das Bundesverfassungsgericht machen es vor: Trans* kommt zunehmend auf die Agenda. Mit dem EU-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg hat endlich auch ein hochrangiger Politiker die Erfordernisse erkannt, grundlegende Rechte von Trans*-Menschen auf die Tagesordnung zu hieven, europaweit: „Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass wir diesen Menschen nicht umgehend ihre vollen und bedingungslosen Menschenrechte geben.“
Im Vergleich zur Lesben- und Schwulenbewegung, die sich, vormals gesellschaftlich an den Rand gedrängt, zu einer emanzipierten Bewegung inklusive rechtlicher Teilerfolge wie dem Gesetz zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft entwickelt hat, stehen Trans*-Aktivisten noch an einem frühen Punkt. Mit einem in Grundzügen verbesserten TSG mag die noch junge soziale Bewegung rechtlich verankerte, verbesserte Lebensbedingungen einklagen – es sei denn, der Deutsche Bundestag verweigert sich wie am 19. Juni 2009, als CDU/CSU und SPD nur ein Reförmchen light verabschiedeten, das sich lediglich der Aufforderung der Verfassungsrichter fügte, Trans*-Menschen nicht mehr zur Scheidung zu zwingen, ehe der Geschlechtseintrag geändert werden kann. Stehen die Grundrechte Trans*-Menschen uneingeschränkt zur Verfügung, muss auch die Gesellschaft folgen. Diese glaubt noch allzu klar an „biologisches Geschlecht“ und erfährt doch langsam, wie hybrid Identitäten, Rollenzuweisungen und Geschlechter sind. LEO Y. WILD
* Um so unterschiedliche Selbstdefinitionen wie transgender, transsexuell und transidentitär zu bündeln, wird die integrative Bezeichnung Trans* verwendet.