: Ironische Eleganz
DDR-MODE Im Kunstgewerbemuseum ist die Ausstellung „In Grenzen frei“ zu sehen. Sie zeigt Arbeiten der DDR-Modeszene von 1979 bis 1989 und legt ihre Verbindungen zu Kunst- und Musikunderground offen
VON JÖRG SUNDERMEIER
„Ich fühle mich in Grenzen wohl“, hieß es in einem Gedicht des leider kaum noch bekannten großen Dichters Stefan Döring, das in den 80er-Jahren in der DDR entstand. Die Zeile zeigte ironisch den reglementierten ostdeutschen Bürger und zugleich den Stolz der Subkulturellen, die sich nicht beugen lassen wollten. Dabei war, als das Gedicht entstand, das Leben Underground-Musizierender oder -Schreibender kein Zuckerschlecken. Man wusste die Staatssicherheit in der Nähe, und als Punk fuhr man mit schöner Regelmäßigkeit in den Knast ein. Nicht mitzumachen hieß bereits, dagegen zu sein. Aber die Verweigerung war viel größer als der politische Impetus. Man schaffte sich seine politikfreie Nische, inmitten einer von der Kita bis zum abendlichen Parteitreffen offiziell durchpolitisierten Welt.
Bedingt existent
„In Grenzen frei“ heißt nun, den Gedanken Dörings aufnehmend, eine Ausstellung zu „Mode, Fotografie, Underground in der DDR 1979–1989“ im Kunstgewerbemuseum am Potsdamer Platz. In einem Text für den Ausstellungskatalog, den einer der Kuratierenden, der als Dichter und DJ tätige Henryk Gericke, verfasst hat, heißt es: „Den Freieren unter den Unfreien war die DDR nur noch bedingt existent. Innerhalb der Republik waren sie republikflüchtig, und in Grenzen frei. Frei von einer ständigen Bezüglichkeit auf eine Diktatur, die sie in ihre eigene Leere laufen ließen.“
Gericke hat die Ausstellung mit Michael Boehlke kuratiert, sowie mit der Fotografin Frida von Wild und der Modedesignerin Grit Seymour. Sie alle waren auf die ein oder andere Weise Teil der DDR-Subkultur. Die Ausstellung im Kunstgewerbemuseum überrascht.
Das, was man dort als Mode findet, ist keinesfalls das, was man sich unter Mode vorstellt. Selbstverständlich ist sie exaltiert und, wie Ottonormalverbraucher sagen würde, „untragbar“. Hier allerdings werden Federn, Leder, Spitze, vor allem Reste und Abfall zu einer Kleidung verarbeitet, die mit voller Absicht „untragbar“ ist, da sie das Anderssein der „Freieren unter den Unfreien“ hervorheben soll, und zunächst kaum mehr als das. Weder soll sie das Gesicht betonen noch die Hüfte schmaler machen, soll die Brust nicht herausstellen noch den schönen Nacken hervorheben.
Die Untergrund-Mode der DDR diente zwar auch der Selbstinszenierung, doch sollte sie zunächst den Körper nicht in eine sexualisierte Ware verwandeln, so, wie es die Mode des Westens zur gleichen Zeit vornehmlich tat. Selbst das, was im Westpunk schnell leere Attitüde wurde, die Malocher-Stiefel, die zerschlissene Proletenlederjacke, die zerfetzte Jeans, wurde im Osten anders gehandhabt. Die schneidernden Gruppen „chic, charmant und dauerhaft“, „Stattgespräch“, „Omelette Surprise“ und „Allerleirauh“ hatten ein ironisches Verhältnis zur Eleganz, jedoch kein ironisches Verhältnis zur Kunst. Wie die im Rahmen der Ausstellung gezeigten Fotos und Videoarbeiten beweisen, waren die Modeschauen zugleich Performances.
Kassetten-Underground
Die Models wälzten sich auch schon mal zur Musik über eine Bühne (und nicht über einen Catwalk), die Musik war die Musik der Szene – also die Musik jener selten live spielenden und oft auf wenigen selbstkopierten Kassetten zu findenden Bands. „Was das mit Mode zu tun hatte, bleibt im Dunkeln“, heißt es schön und treffend in der Ausstellung. Der gleichnamige Text von Antje Schlag zeigt aber auch, dass die Modetalente schneller noch als andere in die offiziellen Abläufe der DDR-Kultur eingesponnen wurden, dass Modeshows offiziell gezeigt werden konnten – als Kunst. Und in der Zeitschrift Sybille, der ostdeutschen Brigitte, die vorführte, was man zuhause selbst nachschneidern konnte.
Dabei war diese Szene durchaus in der Lage, mit Mode Geld zu verdienen. Eine Designerin berichtet, dass sie mit ihrer Schneiderei und ihrem Flohmarktstand in wenigen Wochen so viel Geld machen konnte, dass sich ihr Freund von diesem ein unerhört teueres Westauto kaufen konnte. Diese freundliche, hedonistische, nur durch die Umstände politisierte Subversion öffnete sich dem Westen, ahnte aber noch nicht, dass der Westen, als die Mauer fiel, sie gleich mit verschlingen werden würde.
Merkwürdig ist auch, wie sehr, bei aller gewollten Künstlichkeit der Mode, alle Models und Fotografinnen und Fotografen an Authentizität glaubten. Man lächelt ungekünstelt, guckt, wenn man professionell guckt, ironisch professionell, die Fotos zeigen Melancholie und Aufruhr, Wut, Ablehnung und wollen echte Menschen zeigen, nicht nur die Kleidung. Das war für manches DDR-Magazin schon zu viel, und es wurde den Models ein Lächeln aufretuschiert. Die Models in dieser Ausstellung sind mehr als Kleiderständer, und nicht selten sind sie nackt, selten aber aufgeilend. Diese Nacktheit macht traurig. Heute ist das Modell stets Objekt, ein Mensch soll es nicht sein.
„In Grenzen frei“ noch bis zum 13. September im Kunstgewerbemuseum am Potsdamer Platz. Katalog 28,90 €