: Torkeln und Taumeln
OPER Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, inszeniert heute Abend im Münchener Cuvilliés-Theater Leonard Bernsteins Kurzoper „Trouble in Tahiti“ – eine kritische Würdigung
■ „Niemals aufhören zu lächeln“, so lautet die Partituranweisung von Leonard Bernstein für das Jazztrio, das die Handlung von „Trouble in Tahiti“ (Uraufführung 1952) auf ironisch-lustvolle Weise kommentiert. Schorsch Kamerun inszeniert die Kurzoper nun für die Oper in München. Immer lächeln, das ist auch ein Sinnbild für das Tragische, das den beiden Protagonisten widerfährt. Dinah und Sam leben nach außen hin den amerikanischen Traum, Garten und Kind. Doch ihre Beziehung ist geprägt von Streit und Vereinzelung. Am Ende steht die Sprachlosigkeit. Festspielpremiere heute um 21 Uhr im Cuvilliés-Theater in München. Weitere Vorstellungen am 9. und 10. Juli.
VON TILL BRIEGLEB*
Der „Pudel Club“ im Hamburger Schanzenviertel war in den Achtzigern in so ziemlich allen Belangen das absolute Gegenteil dessen, was die Bayerische Staatsoper ausmacht: klein, dunkel, verfallen, schmutzig, laut und verqualmt. Die Kleidung der Gäste war billig oder sonderlich, musikalisch dominierte das laute Drei-Minuten-Lied, für das der Interpret weder sein Instrument spielen noch singen können musste, und die Stimmung unter den schnell betrunkenen jungen Besuchern war stets so fröhlich, dass sie von Außenstehenden leicht für aggressiv gehalten werden konnte (was sie manchmal, zugegeben, auch war).
Die Boheme-Serpentine
Von hier zur Pracht des Cuvilliés-Theaters, wo der „Pudel Club“-Mitbegründer Schorsch Kamerun nun Leonard Bernsteins Kurzoper „Trouble in Tahiti“ inszeniert, führt wahrlich kein direkter Weg. Es ist mehr ein Torkeln und Taumeln, Vorpreschen und Innehalten, Verirren, Wiederfinden, Stutzen und Weitergehen – also die klassische Serpentine jeder Boheme, wie sie aus der Halbwelt kommend große Umwege zwischen Melancholie und Euphorie nimmt, um endlich zur anerkannten Hochkultur zu werden.
Das große Problem, das diesen Weg begleitet, ist die Frage der Integrität. Und im Fall, dass der Ausgangspunkt Punk und linke Subkultur heißt, wie bei Schorsch Kamerun, ist die Ankunft in der Staatsoper theoretisch viel problematischer als bei einem armen Künstler, der irgendwann Nationalpinsel wird. Denn im politkulturellen St.-Pauli-Milieu der späten Achtziger war die Oper Teil des Establishments, und das war der Feind. Wobei es sich damals durchaus um komplementäre Feindbilder handelte. Dem Operngänger sein Hafenstraßenchaot war dem St.-Pauli-Künstler sein reicher Sack.
Kamerun war Teil dieser radikal denkenden Linken, die den Staat als zu bekämpfenden Gegner betrachtete und im Kapitalismus eine tägliche Bedrohung der menschlichen Freiheit und Unversehrtheit sah. Im Gegensatz zu vielen Frust-Radikalen hatte Kamerun jedoch immer eine starke Neigung zur Paradoxie, und das hat es ihm möglich gemacht, ohne Identitätsaufgabe den Weg ins Establishment zu gehen. Tatsächlich steckte in Kameruns Punk schon immer eine Portion Oper und auch in seiner jetzigen Oper wird das Erbe von Dada, Anarchie und Sex Pistols nicht zu verleugnen sein.
Große Gesten, starke Emotionen und Spaß an Maskierung und Rollenspielen begleiteten schon die Anfangsjahre der Goldenen Zitronen, der Band, als deren Sänger Kamerun berühmt wurde. Wegen ihrer ironischen Texte („Porsche, Genscher, Hallo HSV“) und ihres Hangs zu modischen Geschmacklosigkeiten fälschlich mit dem Etikett Fun-Punk versehen, war die Band Schnittmenge diverser subkultureller Einflüsse und dadurch erstaunlich frei von Dogmatismus. Im Lauf der 25-jährigen Bandgeschichte (in diesem Jahr erscheint ein neues Album) haben Kamerun und sein Mitstreiter Ted Gaier in unterschiedlichen Besetzungen zahlreiche Musikstile, Textformen und Geschmackstravestien ausprobiert, ohne das Selbstverständnis einer kritischen Kunst zu verlieren.
Klassischen Bohemiens misstrauten Kamerun und seinem Hamburger Kreis (zu dem auch der Musiker Rocko Schamoni und der Maler Daniel Richter gehören). Statt akademischer oder parteipolitischer Verhaltensdisziplin suchten sie eher die Dialektik von Argument und Rausch. Getreu der alten Seneca-Beobachtung: „Nichts Erhabenes, Hohes wird erreicht, solange man ganz bei sich ist“, war Enthemmung Teil des künstlerischen Programms – Rausch als ein Mittel der Übertreibung, Verzerrung und Verkleidung.
Theaterinszenierungen, die Kamerun seit Ende der Neunziger verstärkt betreibt, illustrieren diesen Hang zur kritischen Groteske. Tiere, Prominente, Allegorien oder historische und literarische Figuren in meist lächerlichen Kostümen bevölkern Kameruns sonderliche Bühnenwelten aus symbolischen Versatzstücken. Unter Titeln wie „Biologie der Angst“, „Der digitale Wikinger“, „Lockruf des Katzengoldes“ oder „Der Chinese im Kinderbett“ komponierte Kamerun in Hamburg, Zürich, Hannover, Berlin und München stark musikalisch durchtränkte Szenen-Collagen, die sich wenig an die Regeln einer geordneten Dramaturgie hielten.
Querfeldein durch Gegenwartsphänomene
Auf den ersten Blick wirkt Kameruns Zugang zum Theater noch tief verwurzelt in der Ablehnung des bürgerlichen Repräsentationstheaters. Aber an den gelungenen Abenden verdichteten sich die Kreuzungen aus Trash-Kultur und politischer Ansprache, Bildfantasie und Satire zu inspirierenden und komischen Querfeldein-Touren durch Gegenwartsphänomene.
Autoritäts- und Schamkonflikte bilden das zentrale Thema, auch dort, wo er sich Märchen oder Romanen annimmt. Ob in Andersens „Schneekönigin“ oder „Peter Pan“, in der Bearbeitung von Hubert Fichtes „Palette“ oder Matias Faldbakkens „Macht und Rebel“, die darstellerischen Mittel und Texte handeln meistens von Ansprüchen, die man nicht erfüllen will, und von Wegen, wie man sich dem Diktat von richtig und falsch entzieht. Die Haltung dahinter ist eine ungemein konstruktive Suche nach dem Kern menschlichen Respekts.
Schorsch Kamerun selbst strahlt diese Gegensätzlichkeiten auch persönlich aus. Er ist der Punk mit den schönen Umgangsformen. Doch wenn er in seinen altertümlichen Anzügen und schrillen Farbkombinationen ins kreisende Nachdenken kommt, dann findet man sich schnell in Diskursen wieder, deren Begrifflichkeit noch aus den Tagen der Protestbewegungen stammt. Da ist noch die Rede von „dem Staat“, von Ungerechtigkeit, von Kämpfen, von Schuld und Verantwortung. Und die überaus ernsthafte Art, in der Kamerun mit solchen Begriffen denkt, macht den Zuhörer wieder aufmerksam auf ein kritisches Erbe, das in Zeiten von sozialer Polarisierung und politischer Ohnmacht noch mal gebraucht werden könnte.
Kamerun muss sich für die Oper nicht verleugnen. Auf die Lücken, Brüche und Improvisationen wird er aber angesichts der musikalischen Geschlossenheit der Partitur verzichten müssen. Die Geschichte einer trostlosen Vorstadtbeziehung in den USA der Fünfziger, die Bernstein mit Elementen aus Klassik und Jazz musikalisch umsetzte, verbindet sich mit Kameruns Jugenderinnerungen, als er, noch unter seinem Taufnamen Thomas Sehl, in der schleswig-holsteinischen Provinz an Enge und Zwanghaftigkeit der geistigen Randlage litt.
Die Öffnung ins Rauschhafte leistet in Kameruns Interpretation von „Trouble in Tahiti“ die Verwandlung des ehelichen Wohnzimmers in einen Rummelplatz, auf dem Gestalten in Anlehnung an die bedrohlichen Figuren Paul McCarthys die Unvollständigkeit der Spießeridylle vorführen. Und deutsche Punklieder in Orchesterversion – darunter ein Stück von Fehlfarben und natürlich von den Goldenen Zitronen – bilden als Ouvertüre einen Brückenpfeiler zur Gegenwart.
Till Briegleb schreibt als Theater- und Kunstjournalist für Art und Süddeutsche Zeitung. Im Insel Verlag erschien vor Kurzem sein Buch „Die diskrete Scham“ Dieser Text ist in vollständiger Länge in Max Joseph, dem Magazin der Bayerischen Staatsoper, erschienen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.