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Archiv-Artikel

Ein ganz schöner Stress

Die Cebit aus Sicht des Stresspsychologen: Psychologie-Professor Uwe Tewes rät zur Gelassenheit. Dann lässt sich auch so eine Messe wie ein Jahrmarktvergnügen genießen

taz: Herr Tewes, inwiefern unterscheiden sich Messen von anderen Massenveranstaltungen?

Uwe Tewes: Fußballspiele oder Demonstrationen sind Veranstaltungen, bei denen so etwas wie eine Konsensbildung erzeugt wird: die Leute schaukeln sich hoch, sie sind einer Meinung. Messen sind dagegen mehr eine graduelle Verschiebung der Aktivitäten, die man auch im Lebensalltag hat – es ist alles ein bisschen hektischer, es sind mehr Leute da, mehr Termine, mehr Zeitdruck und das aber auf engem Raum mit ganz vielen Leuten. Das ist natürlich immer Stress, weil nichts in gewohnten Bahnen verläuft.

Nach dem offiziellen Tagesgeschäft gibt es auf der Cebit abends immer Stand-Parties, bei denen die Leute sich informel treffen. Spannungsabbau oder verschärfter Stress des Kontakteknüpfens?

Ich denke, dass das eine Art von ritualisiertem Spannungsabbau darstellt. Das ist ein Gegenpol zu den mehr oder weniger anonymen Interaktionen des ganzen Tages, da hat man nochmal so ein Bedürfnis, sich in vertrauter Runde zu sammeln. Das ist eine ganz vernünftige Sache, wenn es nicht nur eine Zwischenstation ist zur nächsten Phase und man auch noch die Nächte durchmachen muss, um Geschäftskollegen bei Laune zu halten. Dann würde es natürlich stressig.

Wie gehen Nachwuchs-Programmierer, die auf der Cebit Kontakte knüpfen wollen, am schlauesten mit gestressten Managern um?

Das nahe liegendste ist: wenig Selbstdarstellung. Das heißt: Nicht auf andere einreden, sondern nur mal signalisieren, was man auf dem Herzen hat und dann abwarten, was kommt. Bloß nicht den anderen überfallen mit Anspruch auf viel persönliche Zuwendung. Je pragmatischer und freundlicher die Leute mit der Situation umgehen, desto besser kommen sie bei anderen an.

Gibt es eine Kollektivpsyche einer Branche, die deutlich wird bei Messen?

Ja, das wird jedes Jahr wieder diskutiert. Das kann ein kollektiver Pessimismus sein, in diesem Jahr scheint’s mehr ein kollektiver Optimismus zu werden, bei dem die Leute sich dann gegenseitig bestätigen, dass es voran geht. Das ist sicher eine ganz wesentliche Funktion der Messen, die sich ja ansonsten als Veranstaltungen längst überholt haben – wozu braucht man Messen im Zeitalter des Internets?

Stressabbau für Leute im Nadelstreifen-Anzug: Ihr Tipp, wie das geht?

Die Leute haben in der Zeit wenig Chancen, etwas einzusetzen: Patentrezepte wie autogenes Training oder Joggen werden sich nicht in die Situation einbauen lassen. Aber es ist ja nichts Schädliches: Problematisch wird es nicht, wenn sie keine vorbeugenden Maßnahmen zur Verfügung haben. Problematisch wird es, wenn sie das Ganze schlecht kompensieren und sagen: Ich überstehe das nur, wenn ich mich abends nochmal richtig voll schütte. Aber wer das ganz normal handhabt, der genießt das, so wie Kinder den Stress auf dem Jahrmarkt genießen. So eine Messe ist ja auch ein Highlight, die freuen sich, dass sie dabei sein können.

Interview: Klaus Irler