: „Braille ist geil!“
Zum hundertjährigen Jubiläum der Hamburger Stiftung Centralbibliothek für Blinde zeigen die Bücherhallen die Ausstellung „Zauberpunkte“
von Maren Albertsen
Diese Helligkeit. Es ist fast zu viel für die Augen. Die Sonne scheint mit aller Kraft, gleichzeitig reflektiert der Schnee die Strahlen und verwandelt jeden Fußweg in eine glitzernde Eisbahn. Nur wer genau hinsieht, entdeckt die aufgemalte Blindenbinde und das Warnschild auf dem Boden. Doch ein Gebäude, das sich schon von weitem als Einrichtung für sehbehinderte Menschen erkennen lässt, sucht man hier vergebens. Stattdessen reihen sich in der Herbert-Weichmann-Straße Stadtvillen aneinander, wie man es in Uhlenhorst erwartet.
Trotzdem sind die Warnschilder berechtigt, denn hinter dem sandsteinfarbenen Haus mit der Nummer 44-46 verbirgt sich die „Stiftung Centralbibliothek für Blinde“ – Hamburgs Blindenbücherei, die in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert: Anlass für die aktuelle Ausstellung „Zauberpunkte“ in der Zentralbibliothek.
20 Mitarbeiter, darunter fünf Sehbehinderte, arbeiten zurzeit in der Blinden- sowie der angegliederten Hörbücherei und versorgen jedes Jahr 800 Leser mit 25.000 Blindenschriftbänden. „Im Grunde funktioniert hier alles wie in einer normalen Bücherei“, erklärt Geschäftsführerin Elke Dittmer. „Abgesehen davon, dass niemand herkommt, um die Bücher zu holen. Stattdessen verschicken wir sie kostenlos.“
Damit das möglich ist, gibt es einen Vertrag mit der Post, die für den Versand keine Gebühr nimmt. „Die Post ist neben der Förderung durch die Kulturbehörde unser zweites Standbein. So brauchen wir unsere Räume nicht behindertengerecht umzugestalten“, sagt Dittmer. „Außerdem könnten gerade ältere Leute die Bücher gar nicht tragen.“
Bei einem Rundgang durch das verwinkelte ehemalige Wohnhaus wird deutlich, woran das liegt: In mehreren hellen Räumen stapeln sich insgesamt 30.000 Bände auf den Regalen und erinnern eher an große Fotoalben als an Bücher. Kein Wunder: Das Übertragen eines 200-Seiten Romans von „normaler“ Schrift in Blindenschrift macht aus einem Taschenbuch fünf dicke DIN A4-Bände – obwohl bereits eine Art Blindenkurzschrift verwendet wird, die den Text um ein Drittel reduziert.
Seit der Erfindung der Blindenschrift durch Louis Braille hat sich das System mit den sechs Punkten weltweit durchgesetzt. Am schnellsten geht die „Übersetzung“ eines Romans mit Hilfe eines Blindenschriftdruckers. Blinde Mitarbeiter lesen hinterher Korrektur. Auch Nachdrucke sind durch das Verfahren jetzt möglich. „Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die meisten Bücher zerstört waren, haben 200 ehrenamtliche Frauen die Originalbücher Satz für Satz abgeschrieben. Die existieren dann natürlich auch nur einmal“, so Dittmer. Sie ist voller Elan und möchte noch mehr Sehbehinderte auf ihre Einrichtung aufmerksam machen. „Leider gibt es aber für viele Leute noch eine Hemmschwelle, mit uns in Kontakt zu treten, da sie sich nicht eingestehen wollen, beinahe oder ganz blind zu sein.“
Für die meisten Kunden allerdings bedeutet die Bücherei Lebensqualität. Besonders stark gefragt sind zur Zeit Hörbücher. Hierfür gibt es ein Studio, in dem Honorarkräfte Literatur vertonen. „Menschen, die spät erblinden, lernen die Brailleschrift nicht mehr, und für sie ist dieses Angebot besonders wichtig“, meint Dittmer. Ihr neuestes Projekt: das DAISY-Buch – eine CD, auf der mit mp3-Format gearbeitet wird, sodass ein ganzer Roman darauf passt. Außerdem hat die CD ein Inhaltsverzeichnis, damit der Zuhörer von Kapitel zu Kapitel springen kann. „Jetzt macht es endlich Sinn, Kochbücher oder Nachschlagewerke für Blinde zu vertonen.“
Die technischen Möglichkeiten verändern sich, doch was bleiben wird, ist die Brailleschrift: „Selbst wenn es immer bessere Sprachcomputer gibt, geht nichts über das Gefühl der Unabhängigkeit, wenn man sich eigenständig Notizen machen kann“, weiß Dittmer. Ein Teilnehmer eines Schreibwettbewerbes der Blindenbücherei drückt es anders aus. Bei ihm heißt es schlicht: „Braille ist geil!“
Stiftung Centralbibliothek für Blinde, Herbert-WeichmannStr. 44-46, Tel. 227 286 13.Die Ausstellung „Zauberpunkte“ ist bis zum 8. 4. in der Zentralbibliothek am Hühnerposten zu sehen. Geöffnet Di–Fr 11–19, Sa 10–13 Uhr