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Archiv-Artikel

Blaue Schatten

Subtil bedrohlich: Werke des chinesischen Malers Xie Nanxing sind im Kunstverein Harburger Bahnhof zu sehen

Ausgerechnet in einem ehemaligen Wartesaal kommen sechs der cinemascopegroßen Bilder des chinesischen Malers Xie Nanxing erstmals zusammen. Wie noch keine andere Schau auf den 300 Quadratmetern im Harburger Fernbahnhof stellt diese Schau eine Beziehung zwischen den Bildern und dem transitorischen Charakter des Ortes her.

Denn Nanxings Bildern scheint eine Zeit- und Raumorientierung verunklärende Wirkung zu entströmen: Fünf der sechs Bilder zeigen einen Raum aus verschiedenen Blickwinkeln, mal fast ganz leer, mal mit einem nackt darin liegenden Menschen. Aber eigentlich zeigen die 150 mal 360 Zentimeter großen Bilder diesen Raum nicht, sondern lassen ihn erahnen: In feinen Abstufungen vom Blau zum Schwarz werden die Betrachter in eine Traumsequenz hineingezogen. Doch auch dafür gibt es wenig Anhaltspunkte, immerhin lässt der Raum ein Fenster und eine typisch chinesische Sitzgruppe erahnen. Dies ist keine romantische „blaue Stunde“. Vielmehr ist das ein Blau, wie es ganz Videoaufzeichnungen eigen ist, ein Eindruck, der eher über die Farbe funktioniert als über die Rasterpunkte, in die sich diese Feinmalerei aus der Nähe betrachtet auflöst.

Der 34-jährige Xie Nanxing nimmt als Bildvorlage die abfotografierten Stills einer alten Videokamera. Dann tupft er seine Bilder in mehreren Schichten. Und sowie ein Gemälde fertig ist, geht es an den Galeristen in der Schweiz und wird verkauft.

Urs Meile aus Luzern und Mathias Güntner, der Kurator der Ausstellung im Harburger Bahnhof, erklären den in Beijing und Chengdu lebenden, biennalenerprobten Maler zum internationalen Shooting-Star. Was zumindest insofern zutrifft, als es inzwischen schwer ist, die einzelnen Zyklen aus Privatbesitz noch zusammenzubekommen.

Immer wieder bemerkenswert ist, mit welcher Perfektion Maler aus China arbeiten, immer wieder erstaunlich ist, wie schnell sie ihre Stile wechseln und auf den Markt reagieren: Noch 1999 auf der Biennale von Venedig erregte Xie Nanxing Aufmerksamkeit mit knallbunten Hardcore-Bildern von sexuellen Verletzungen auf dem Klo. Die jetzigen Arbeiten sind subtiler. Bleibt noch nachzutragen, was genau sie abbilden: Es ist das Atelier des Künstlers, es sind Mutter, Vater und er selbst, die da am Boden liegen. Aber das zu wissen enträtselt die sehenswert irritierenden Bilder kaum.

Hajo Schiff

Mi–So 14–18 Uhr, Kunstverein Harburger Bahnhof, bis 17.4.