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Archiv-Artikel

Paul Schäfer sitzt in Chile im Gefängnis

Der Chef der berüchtigten Deutschensiedlung Colonia Dignidad wird von Argentinien wegen illegaler Einreise abgeschoben. Damit vermeiden beide Regierungen langwierige Auslieferungsverfahren. Der Häftling verweigert bisher die Aussage

AUS BUENOS AIRES INGO MALCHER

Paul Schäfer wartet in Chile auf seinen Richter. Der Gründer der berüchtigten Deutschensiedlung „Colonia Dignidad“ wurde in der Nacht zum Sonntag von Argentinien nach Chile abgeschoben. Dies meldete der argentinische Fernsehsender „Todo Noticias“. Schäfer war bereits am vergangenen Donnerstag in der Nähe der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires verhaftet worden.

Die chilenische Regierung hatte darauf gedrängt, dass Argentinien auf ein langwieriges Auslieferungsverfahren gegen den 83-Jährigen verzichtet, sondern ihn wegen illegaler Einreise einfach abschiebt. Ganz unbürokratisch konnte Schäfer dann am Samstagabend in einen Lear-Jet der chilenischen Luftwaffe gesetzt werden, der ihn vom Stadtflughafen von Buenos Aires nach Santiago de Chile flog.

Zuvor unterzeichnete Argentiniens Präsident Néstor Kirchner das Dekret 0356/05, das die Abschiebung Schäfers befahl. Dies war erst möglich, nachdem die chilenische Justiz ihren internationalen Haftbefehl gegen Schäfer zurückgezogen habe, berichten chilenische Fernsehsender.

In der argentinischen Untersuchungshaft verweigerte Schäfer die Aussage. Bei seiner Festnahme am Donnerstag stammelte Schäfer nur „Warum, warum?“ in die Fernsehkameras, als ihn Polizisten im Rollstuhl zu einem Streifenwagen schoben. Am Samstag musste er wegen Herzkreislaufbeschwerden in ein Krankenhaus eingeliefert werden, Sanitäter begleiteten ihn dann später zum Flughafen.

Auf Schäfer wartet in Chile ein dicker Katalog von Anklagen. Ihm werden Kindesmisshandlung und Beteiligung an den Verbrechen der Diktatur von Augusto Pinochet (1973 bis 1990) vorgeworfen. Ende vergangenen Jahres wurde Schäfer in Abwesenheit von einem chilenischen Gericht wegen Kindesmissbrauch in 26 Fällen verurteilt.

Schäfer gründete die Colonia Dignidad 1961, nachdem er aus Deutschland geflüchtet war, weil er bereits damals wegen Kindesmissbrauchs gesucht wurde. Die Siedlung, gut vier Autostunden südlich von Santiago gelegen, ist mit Stacheldraht gesichert. Über Jahre hinweg kam niemand dort hinein, ohne den Wachposten zu passieren.

In der Colonia Dignidad predigte Schäfer Zucht, Ordnung und Fleiß. Zuwiderhandlungen wurden bestraft, aufmüpfige Colonia-Dignidad-Bewohner bekamen Elektroschocks verpasst, wie ein Geflohener berichtete. Schäfer verbot in der Colonia Dignidad Fernsehen und Telefon. Kinder wurden den Eltern nach der Geburt weggenommen, zahlreiche Jugendliche sollen von Schäfer vergewaltigt worden sein.

Während des chilenischen Militärregimes (1973 bis 1990) kooperierte Schäfer eng mit dem Geheimdienst von Diktator Augusto Pinochet. Gegner des Regimes wurden in die Colonia Dignidad verschleppt und dort zu Tode gefoltert. Nach Angaben von amnesty international sollen in der Colonia Dignidad 119 Regimegegner festgehalten worden sein.