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Archiv-Artikel

Michael, what about us?

Millionen Menschen weltweit verfolgten gestern die offizielle Trauerfeier für den King of Pop in Los Angeles. Haben sie mit Michael Jackson auch die globale Popkultur zu Grabe getragen?

VON CARSTEN ZORN

there is a continuous struggle to disorganize and reorganize popular culture … A battlefield where no once-for-all victories are obtained but where there are always strategic positions to be won and lost. (Stuart Hall)

Mit der gestrigen Trauerfeier geht das alles nun in die zweite von am Ende sicher vier, fünf oder noch mehr Wochen: die Rückkehr von Michael Jackson in alle Charts; die spontanen Feiern zu seinen Ehren in den Großstädten aller Erdteile; all die „tributes to MJ“ von Musikerkollegen, schwarzen Bürgerrechtlern, Politikern und Prominenten aus aller Welt; die Nachrufe und Jackson-Porträts auf allen Kanälen. Dabei zeigt nicht nur dieses Ausmaß, dass es um mehr als Jackson selbst geht – sondern auch das immer wieder bekundete persönliche Erstaunen darüber, dass die eigene Erschütterung angesichts seines Todes weit größer ist, als man es erwartet hatte.

Mit seinem Tod ist ein epochaler Bruch zum allgemeinen Bewusstsein gekommen: das absehbare (beziehungsweise schon längst eingetretene) Ende der Popkultur, wie sie für vier, fünf Generationen zu einem selbstverständlichen Teil ihres Lebens geworden war. Gleichsam der endgültige Abschluss des ersten Kapitels in der Geschichte der modernen Popkultur: eines Zusammenhangs von Ideen, Musik, Praktiken und Diskursen, der globale Ikonen hervorbrachte und der sich und seine gesellschaftliche Macht in diesen global sichtbar versinnbildlichte – und der so auch eigentlich erst seinen Zusammenhang erhielt. Durch global bekannte Zentralfiguren, auf die jede und jeder sich beziehen, denen gegenüber man sich allgemein verständlich positionieren, von denen man sich sichtbar abgrenzen und unterscheiden konnte. Mit globalen Superstars wie den Beatles und Michael Jackson wurden Stilfragen zu ideologischen und politischen Frontlinien: Stones gegen Beatles, Prince (und dann Madonna, Eminem usw.) gegen Michael Jackson.

Alles, was seit der Nachricht von Jacksons Tod geschieht, macht dann auch den Eindruck einer dem sehr genau entsprechenden kollektiven Anstrengung. Als versuche man aus Anlass seines Todes zu begreifen, was eigentlich das denn genau war, was nun nicht mehr da ist – indem man es sich nun noch einmal bis in die letzten Details hinein vergegenwärtigt: Wie war so etwas, wie waren globale Superstars wie Michael Jackson überhaupt möglich? Und was genau geht mit ihnen nun verloren?

Bisher wurden die entsprechenden Verluste wohl allenfalls hier und da mal als Phantomschmerz spürbar – und konnten darum auch leicht als ein solcher abgetan werden. Man denke nur an die hysterischen Reaktionen auf den Tod von Lady Di im Jahre 1997 – und daran, dass es bis heute eigentlich keine brauchbare Erklärung für diese Vorgänge gibt. Von den aktuellen Ereignissen her gesehen ließe sich nun sagen: Angesicht der Ahnung, dass es bald keine mehr geben würde, wollte man sich hier um jeden Preis noch einmal eine „globale Ikone“ imaginieren – um vor allem auch noch einmal, und vielleicht zum letzten Mal, alle von einem solchen ermöglichten emotional-hormonellen Schauer durchleben zu können.

Und nicht zuletzt auch die Bedeutung des Internet in diesem Zusammenhang kommt eigentlich erst jetzt und sehr plötzlich zu Bewusstsein. Nachdem sie sich bislang nur an emotional so wenig bewegenden Dingen zeigte wie dem Niedergang der Plattenindustrie. So sagte der Musikjournalist Klaus Walter bei „Kulturzeit“, gleich am Tag nach der Nachricht von Jacksons Tod, einmal nicht nur (wie viele in diesen Tagen), Jackson sei „der letzte globale Superstar“ gewesen. Er lieferte dafür nun auch noch diese Erklärung: „Durch die Diversifizierung, die wir durch das Internet haben, die immer kleineren Einheiten, werden wir solche globalen Stars nicht mehr haben.“

Man könnte sich natürlich fragen, wo eigentlich das Problem liegt? Geht es hier vielleicht nur um einen melancholischen Diskurs von über 30- und vor allem über 40-Jährigen? Und überhaupt: Sieht das alles nicht einfach nach einem erfreulichen Demokratisierungsprozess aus? Vorher hatte einer alles (die größten Einnahmen, die fettesten Plattenverträge, die meiste Aufmerksamkeit), und nun verteilt sich das alles eben mehr und anders und vielleicht sogar irgendwie gerechter.

Dass es tatsächlich ein Problem geben könnte, wurde unmittelbar sinnfällig anhand dessen, was im Netz, bei Twitter und Facebook geschah, nachdem dort die Nachricht vom Tod Jacksons reinplatzte. Oder besser: als diese inmitten des weltweiten Kreuz- und Quergezwitschers plötzlich auftauchte wie Kubricks magischer schwarzer Monolith und alle Kommunikation in Minutenfrist synchronisierte. Dirk Peitz hat die Chronik dieser Ereignisse letzte Woche noch einmal für die Zeit zusammengefasst und dafür einen ziemlich treffenden Titel gefunden: „Wie der Tod des Superstars die neue Popkultur im Internet zum ersten Mal weltweit sichtbar macht“. Der „neuen weltweiten Parallelöffentlichkeit“ (Peitz) im Netz hatte demnach also bislang nur noch dieser „unmittelbar als historisch empfundene Anlass gefehlt, um sich geballt zu manifestieren als das, was sie auch ist: eine neue globale Popkultur, die in Sekundenschnelle die ansonsten völlig zersplitterte Öffentlichkeit über alle Grenzen hinweg zusammenschalten kann“. Und zugleich wurde so auch erstmals die potenzielle Handlungsmacht dieser „neuen globalen Popkultur“ sichtbar – die Möglichkeit, in wenigen Stunden mächtige schwarmartige Wellen gleichsinniger Handlungen auszulösen: „Die Trauer auf Facebook war nur einen Klick weit entfernt vom Kaufimpuls für Thriller auf iTunes.“

Es gibt da nur ein Problem: „Die Frage ist bloß, was der Anlass sein kann für eine nächste Manifestation dieser neuen Popkultur, deren Flüchtigkeit auch darin besteht, dass sie zwar die Logistik jederzeit bereithält, ihr aber das Personal fehlt. Es gibt außer Madonna niemanden, der bekannt genug wäre.“ Die neue globale Popkultur also hängt am Tropf der alten, lebt ganz von ihr – und also dummerweise von etwas, das gerade verschwindet. Das ergibt ein ziemlich tragisches Bild: Da ist ein gigantischer logistischer Apparat endlich komplett aufgestellt, und just in dem Moment, in dem sich herausstellt, für welche Güter er geschaffen ist, welcher Stoff sein fantastisches Transportpotenzial richtig zur Geltung bringt, geht dieser Stoff zur Neige, werden diese Güter nicht mehr hergestellt. Eine mächtige Maschine, der der Treibstoff ausgeht.

Die „neue globale Popkultur“ also könnte sich am Ende als ein ziemlich zahnloser Tiger erweisen. Und mit dem Verschwinden der globalen Popstars dürfte auch die globale Sichtbarkeit der popkulturellen Utopien und Ideale schwinden. Und das ausgerechnet in Zeiten eines neoliberalen Alltags, eines neoliberalen Kulturbetriebs, einer neoliberalen „Kulturwirtschaft“ und „digitalen Boheme“, in denen sie als Gegengewicht mehr denn je gebraucht würden.