: Wir sind an allem schuld
Ob Fleischskandale, Bahnpreise oder Stromkosten: Alle reden vom Verbraucherschutz. Aber der Konsument braucht vor allem eines: Schutz vor sich selbst. Eine Polemik zum heutigen Weltverbrauchertag
VON BERNHARD PÖTTER
Die Geschichte stank zum Himmel: Geldgierige Supermarktbetreiber hatten Fleisch nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums einfach neu verpackt und weiter verkauft. Das gammelige Fleisch wurde den ahnungslosen Kunden angedreht. Die Schweinerei flog letzte Woche auf. Fernsehgerecht gab es sogar Bilder einer versteckten Kamera. Als der neueste, aber sicher nicht letzte Lebensmittelskandal durch die Medien ging, fragte selbst die Bild-Zeitung: „Ist unser Fleisch zu billig, um gut zu sein?“
Wir sind Ignoranten
So sehen in Deutschland Skandale im Verbraucherschutz aus. Doch alle Weinpanscher, Touristen-Nepper, Bahnkunden-Abzocker oder Falschdeklarierer zusammen können es nicht mit dem größten Ärgernis aufnehmen: dem Verbraucher selbst. Der nämlich konsumiert sich die meisten Probleme selbst an den Hals. Er sieht sich als Opfer, aber er ist verantwortlich dafür, dass die Konjunktur lahmt, dass Arbeitsplätze verschwinden, dass Konzerne mit Lohndumping ihre Angestellten bedrängen und dass Tiere in Massenställen gequält werden – also auch dafür, dass Fleisch zu billig ist, um gut zu sein. Alle reden von Verbraucherrechten. Es ist höchste Zeit, den Verbraucher an seine Pflichten zu erinnern.
Leider tut das niemand. Denn der Verbraucher ist mächtig. Er wählt VerbraucherministerInnen ins Amt und wieder heraus. Er spendet für Umweltverbände oder gibt sein Geld lieber dem Tierheim. Er abonniert eine Zeitung oder investiert das Geld in Premiere-Aktien. Es ist nicht ratsam, sich mit dem deutschen Verbraucher anzulegen. Deshalb sind die Bürokraten der Nachhaltigkeit, die Schornsteinkletterer der Öko-Szene und die freischaffenden Umwelt-Propheten so nachhaltig nachsichtig mit der größten Öko-Sau im Stall.
Denn der Verbraucher ist ignorant. Er missachtet alles, was sich hinter dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ versteckt: eine Balance aus gesunder Wirtschaft, tragfähigen sozialen Beziehungen und einer halbwegs intakten Umwelt. Der Verbraucher kauft nichts. Und wenn, dann das Falsche. Und das dann noch im falschen Laden.
Das ist schlimm. Noch schlimmer ist: Der Verbraucher sind wir. Sie. Ich. Früher konnte man mit dem Finger auf die Industrie zeigen. Heute zeigt man auf die Politik. Morgen wird man auf Sie und mich zeigen. Und man wird damit Recht haben. Denn von einer bedrohten Spezies hat sich der deutsche Verbraucher zum rücksichtslosen Schnäppchenjäger gemausert. Der braucht keinen Bestandsschutz mehr. Sondern einen Benimmkurs.
Denn der deutsche Verbraucher (oder besser: die Verbraucherin, denn die meisten Konsumentscheidungen werden von Frauen gefällt – oder noch besser: wir, denn jedeR von uns ist zumindest Konsument, auch wenn er sonst nichts kann) macht so ziemlich alles falsch:
Wirtschaftlich: Wir deutschen Konsumenten geben aus Angst vor der Krise nichts aus. Das bringt uns der Rezession einen kräftigen Schritt näher. Würden wir nicht so viel Güter exportieren, hätten wir schon längst eine wirkliche Wirtschaftskrise am Hals. Deshalb flehen uns Wirtschaft und Politik an, endlich unser Geld auszugeben. Bisher vergeblich.
Sozial: Wir deutschen Konsumenten wissen um die soziale Lage in den Unternehmen – wir kennen das Schwarzbuch von Ver.di zu den Praktiken bei Lidl, wir wissen, dass Aldi alles tut, um Betriebsräte in seinen Filialen zu verhindern, wir haben vom Umgangston bei Schlecker gehört. Es stört uns. Aber wir kaufen weiter dort.
Ökologisch: 40 Prozent aller Umweltprobleme hängen direkt mit dem privaten Verbrauch zusammen. Wenn man ehrlich rechnet, läuft in einer Marktwirtschaft jede Produktion letztlich auf ein Produkt oder eine Dienstleistung für den Verbraucher hinaus. Dann wäre dieser Anteil noch viel höher.
Wir sind Lügner
Wir Verbraucher versagen. Und: Wir lügen. Fragt man uns nach unserem Verhalten, antworten wir brav, was der Fragende hören will. Vor allem bei den drei großen Problemzonen der Umweltpolitik – Landwirtschaft, Energie, Verkehr – sorgen wir mit unseren Antworten dafür, dass unsere Nachfrage nach nachhaltigen Produkten immer überschätzt wird und sich die Demoskopen die Haare raufen. So geben zwei Drittel aller Menschen in Deutschland an, dass sie ab und zu Biolebensmittel kaufen. Der Anteil an Biolebensmitteln am Gesamtmarkt beträgt dagegen knapp drei Prozent. Vierzig Prozent der Bundesbürger sind – angeblich – bereit, für Ökostrom mehr Geld auszugeben. Zu den Öko-Anbietern, die teilweise nicht einmal höhere Preise als die konventionellen Kohle- und Atomkonzerne haben, sind nicht mal ein Prozent der Haushalte gewechselt. Und ein verbrauchsarmes und umweltschonendes Auto? Sehr wichtig beim Autokauf, sagen 90 Prozent der Befragten. Und der Anteil der fünf besten „Öko-Autos“ von der Umweltliste des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) lag 2004 bei einem Prozent der Neuzulassungen.
Wir haben Macht: 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird mit uns erwirtschaftet. Aber wir nutzen diesen Einfluss nur sporadisch. Zugegeben, die Macht auf den Märkten ist immer noch zugunsten der Industrie organisiert: Ihre mächtigen Lobbygruppen beeinflussen die Gesetzgebung, ihre PR-Kampagnen spielen zur Absatzsteigerung mit unseren Sehnsüchten und sie enthalten uns wichtige Informationen vor. Doch es gibt inzwischen auch eine Menge breiter Rücken, hinter denen wir in Deckung gehen: Der EU-Verbraucherkommissar, die deutsche Ministerin für Verbraucherschutz, Landesminister, 16 Verbraucherzentralen, die Verbraucherinitiative, die Stiftung Warentest, foodwatch, der ADAC, Ökotest und, und, und. Sie alle testen, überwachen, informieren, warnen, mahnen ab, klagen, um uns zu schützen. Das ist verdienstvoll und notwendig. Und es wirkt: Wenn wir den Eindruck gewinnen, dass das neue Preissystem der Deutschen Bahn uns über den Tisch zieht oder wenn wir einem Ölkonzern die Versenkung seiner Plattform in der Nordsee krumm nehmen, dann erhebt sich mit Macht unsere Consumer Power – wir meckern am Bahnschalter, wir tanken bei der Konkurrenz. Schnell knicken dann selbst Global Player ein.
Aber den wichtigsten Gegner nehmen wir uns naturgemäß nicht zu Brust: uns selbst. Im Alltag sind wir von einer „Politik mit der Einkaufstüte“ oder vom „nachhaltigen Warenkorb“ weit entfernt. Dabei gab und gibt es Versuche genug, uns zum verantwortungsbewussten Konsum zu bringen: Broschüren, Biosiegel und bunte Luftballons sollen uns nahe bringen, dass Fleisch zu billig und Strom nicht gelb ist. Nur: Das wissen wir alles bereits. Und gut zureden hilft bei uns nicht.
Vor allem die Schröder-SPD preist „Innovationen“ und „Effizienz“, um den Problemen zu begegnen – keine schlechte Idee, aus der Tonne Öl mehr Energie zu gewinnen, aber auch keine Befreiung aus der Wachstumsfalle. Schließlich werden alle Fortschritte etwa beim Energieverbrauch einzelner Geräte gleich wieder durch die absolute Zunahme der Geräte zunichte gemacht. Andere fordern mehr Verbote und staatliche Eingriffe (Der Kollege sagt: „Wenn ich die Grünen wähle, dann erwarte ich, dass sie mir das Autofahren verbieten“). Das ist in Maßen sehr sinnvoll. Aber auch eine Öko-Diktatur könnte nur Verbotsschilder aufstellen – von den unerträglichen Einschränkungen der persönlichen Freiheiten abgesehen, würde so auch kaum die Nachfrage nach den richtigen Dingen entstehen. Wie ich uns Verbraucher kenne, würden Verbote eher das Gegenteil bewirken.
Wir sollten Verzicht üben
Es hilft alles nichts: Den deutschen Verbraucher kann nur der deutsche Verbraucher ändern. Unsere täglichen Konsumentscheidungen können wir nicht an alle vier Jahre zu wählende Abgeordnete delegieren oder in Billiglohnländer outsourcen. Hier geht es um unser täglich Brot. Ihres und meines. Wir wissen, dass wir mit dem Bus schneller zur Arbeit kommen – also lassen wir das Auto stehen. Wir wissen, dass die Billigmilch von Kühen kommt, die die Sonne nicht sehen – also kaufen wir die andere. Wir wissen, dass man die Einkäufe im Supermarkt auch anderswo als bei den schwärzesten Schafen erledigen kann – also tragen wir unser Geld dorthin. Wir wissen, dass wir bei Ethik-Investment oft genauso hohe Renditen sehen wie bei konventionellen Geldanlagen – also fordern wir die von unserer Bank. Hier gäbe es die Chance, den Begriff der „Eigenverantwortung“ neu mit Leben zu füllen, der derzeit nur bedeutet, dass wir für Rente und Gesundheit mehr zahlen und die Unternehmen weniger.
Die Fortgeschrittenen unter uns üben sich dann darin, das zentrale Tabu der Überflussgesellschaft zu brechen – und das Wort „Verzicht“ auszusprechen. Wir müssen nicht zum Kaffeetrinken nach Paris fliegen, auch wenn es nur ein paar Euro kostet. Wir brauchen nicht noch einen dieser Pullover aus dem Sonderangebot, und die alte CD-Anlage tut es noch eine Weile.
Warum sollten wir das tun? Ganz einfach: Weil es richtig ist. Weil es für uns und alle anderen, für unsere Mitwelt, Umwelt und Nachwelt, besser ist, anders zu leben als im Krempel zu ersticken. Weil wir vielleicht mal wieder Zeit finden, auf dem Sofa zu sitzen und zu lesen, zu denken, zu reden. Und weil die wichtigste Frage beim Shopping dann nicht mehr ist: „Will ich das haben?“ oder „Kann ich mir das leisten?“, sondern einfach: „Brauche ich das?“.
Wir werden überrascht sein, wie oft die Antwort heißt: nein.
Bernhard Pötter ist Umweltredakteur der taz. Im Sommer erscheint beim ökom-Verlag sein Buch „König Kunde dankt ab“.