: Der Tod kommt im „Kreuzfeuer“
AUS DHAKA BERNARD IMHASLY
Rab ist in Bangladesch ein häufiger Familienname. In diesen Tagen allerdings löst seine Erwähnung Angst aus. Oder Bewunderung. Denn RAB steht auch für „Rapid Action Battalion“, für eine Elitetruppe von 6.000 Mann, von der man nur weiß, dass sie von der Regierung gebildet wurde und mit allen Mitteln gegen Kriminelle vorgeht.
Ansonsten herrscht Ungewissheit. Nach RAB befragt, sagt ein Anwalt der taz, das sei wohl eine Polizeieinheit, während ein Geschäftsmann meint, RAB werde aus Offizieren rekrutiert und unterstehe der Armee. Sicher ist nur, dass seit Mai 2004, als die Truppe aktiv wurde, zahlreiche mutmaßliche Verbrecher von der RAB erschossen wurden: polizeilich gesuchte Gangster, Schmuggler, Erpresser, Slumlords. Inzwischen hat allein die Zahl der Leute, die – wie es in offiziellen Verlautbarungen formuliert wird – im „Kreuzfeuer“ oder bei „Schusswechseln“ mit RAB-Einheiten gefallen sind, 147 erreicht. Und die Zahl steigt weiter. Nahezu jeden Tag informiert die PR-Abteilung der RAB auf Pressekonferenzen über das Gefecht des Vortags. Und das Einzige, das zumindest kritische Zeitungen tun, ist, „Kreuzfeuer“ in Anführungszeichen zu setzen.
Die RAB kümmert sich nicht um Haftbefehle. Ein junger Textilfabrikant holt als Beispiel eine Zeitungsnotiz hervor, in der über den Einbruch in das Haus seines Nachbarn im vornehmen Gulshan-Quartier von Dhaka berichtet wurde. Die fünf Täter hatten die Bewohner gefesselt und machten sich daran, den Hausrat auf ihren Lieferwagen zu laden. Einer der Geiseln gelang es, trotz der Fesseln sein Mobiltelefon in der Hosentasche zu betätigen und die RAB-Nummer – bald jeder kennt sie in Dhaka – zu wählen. Kurz darauf war das Haus umstellt. Zwei Diebe konnten fliehen, drei wurden erschossen – laut RAB-Kommuniqué „im Kreuzfeuer“. „Das stimmt zwar nicht“, sagt der Nachbar, „die Diebe hatten keine Schusswaffen. Doch was soll’s“, sagte er nachsichtig, „meine Großmutter, die bei uns lebt, war so erleichtert, dass sie dem Kommando am liebsten Süßigkeiten zugesteckt hätte. Sie fühlt sich jetzt einfach wieder sicherer.“
Seit Jahren erlebt Bangladesch eine Welle von Verbrechen: Mord, Erpressung, Vergewaltigung. Die Polizei wird der Vergehen immer weniger Herr, nicht zuletzt „wegen der ständigen Einmischung von Politikern und einflussreichen Leuten“, wie die bangladeschische Menschenrechtsgruppe Ain o Salish Kendra kritisiert. Genau dieses Machtvakuum hat die RAB so populär gemacht. Inzwischen sind viele sogar bereit, die Lynchjustiz zu akzeptieren, solange es sich um gesuchte Verbrecher handelt.
Doch in den letzten Monaten hat die Geheimtruppe begonnen, ihre Definition von „Kriminellen“ auszuweiten: Nun ist auch der politische Untergrund Ziel ihrer Anschläge. Ein typischer Fall ist der Tod von Mofakkhar Hossain, des Gründers einer maoistischen Untergrundpartei. Er wurde am 16. Dezember im RAB-Hauptquartier verhört. In der Nacht darauf habe Hossain, so das Kommuniqué, eine RAB-Einheit zum Versteck einiger Anhänger geführt. Dort sei er im „Kreuzfeuer“ gefallen.
„Beachten Sie die Frechheit, mit der die RAB-Meldungen immer von ‚Tod im Kreuzfeuer‘ sprechen“, sagt ein Menschenrechtsanwalt, der nicht namentlich genannt werden will. „Der Subtext ist doch klar: ‚Wir haben ihn erschossen, wir dürfen es aber nicht offen sagen.‘“
Die Kommandoaktionen mögen in der Mittelschicht populär sein, doch unter Anwälten, Richtern und Ausländern macht sich Sorge breit. Nurul Huda, der frühere Polizeichef von Dhaka, fragte im Daily Star, ob das Auftreten der RAB nicht letztlich das „selbstmörderische Bekenntnis“ sei, „dass Justiz und Staat ihre eigentlichen Funktionen nicht mehr ausüben können“. Die kritiklose Hinnahme einer solchen Truppe sei doch das Eingeständnis, dass der Staat versagt habe. Wenn die Polizei den Bürger nicht mehr schützen könne, sei die Übernahme der elementaren Funktion der Justiz durch Todesschwadronen ein Symptom für dieses Scheitern.
Hinzu kommt, dass das Modell RAB Schule macht: Auch die Polizei macht immer öfter kurzen Prozess mit Verdächtigen. Und der Anwalt und frühere Justizminister Kamal Hossain weist gegenüber der taz darauf hin, dass „allein 2004 300 Menschen durch Mobs gerichtet wurden“. Und in ihrem Jahresrückblick 2004 schreibt die Zeitung Ain o Salish Kendra von einer „alarmierend hohen Zahl von Morden an Lokalpolitikern“.
Die politische Stoßrichtung der RAB zeigt sich aber nicht nur in der Wahl ihrer Opfer, sondern auch daran, wen sie in Ruhe lässt. Im August letzten Jahres berichtete Prothom Alo, die größte Zeitung des Landes, in einer Reportage detailliert über islamische Schulen im Südosten Bangladeschs, wo die jugendlichen Insassen ein Nahkampftraining absolvierten. Zudem trieb im Norden Bangla Bhais ein selbst ernannter „Rächer“ sein Unwesen, dessen Spezialität es war, „gottlose Linke“ zu hängen. In beiden Fällen wurde die RAB nicht aktiv. Auch als Anhänger der sunnitischen Khatme-Nabuwat-Bewegung Bibliotheken und Buchläden der islamischen Ahmadija-Sekte angriffen, rührte sich die Polizei nicht. Stattdessen verbot die Regierung alle Ahmadija-Publikationen. Das Inkrafttreten des Verbots konnte gerade noch verhindert werden, weil Kamal Hossain beim Obersten Gericht eine vorläufige Verfügung erwirkte.
Für Hossain, der als „Vater der Verfassung“ und UNO-Experte internationales Ansehen genießt, sind die Inkaufnahme des religiösen Fanatismus und die Förderung staatlicher Selbstjustiz zwei Seiten der gleichen Medaille. Er spricht von ersten Zeichen für einen „vom Volk gewählten Faschismus“. Die zunehmende Rechtlosigkeit, die gegenseitige Blockade der großen Parteien, der ungezügelte Raubbau an der Natur, gekoppelt mit Armut – all dies ließe die gesellschaftlichen Eliten der Demokratie überdrüssig werden und nach radikalen Maßnahmen rufen – „seien das nun polizeiliche Schlägertrupps oder ultrareligiöse Prediger“.
Dass dies mehr als nur die Angst eines liberalen Anwalts ist, zeigt die Aussage eines Kaufmanns: „Was Bangladesch braucht, ist ein Hitler!“ Für Hossain ist die RAB ein Vorbote. Selbst die Aussicht, dass bei den Parlamentswahlen in anderthalb Jahren die Opposition ans Ruder kommen könnte, beruhigt ihn nicht: „Heute sind sowohl die regierende BNP als auch die oppositionelle Awami-Liga bereit, Gewalt vor Recht zu setzen. Und die Nutznießer sind die Islamisten.“