ns-wissenschaft : Späte Forschung bevorzugt
Gilt hier besser spät als nie? Dass sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) erst zur Jahrtausendwende zu ihrer historischen Verantwortung bekennt, illustriert ein weiteres Mal, wie verstockt die Eliten Deutschlands mit der eigenen NS-Vergangenheit umgingen. Auch die großen Unternehmen wie Dresdner Bank, Allianz, Degussa brauchten erstaunlich lange – aus Angst vor Imageschaden und Umsatzeinbußen. Die Max-Planck-Gesellschaft hat ihr NS-Erbe nun vorbildlich gesichtet: durch eine unabhängige Historikerkommission, breit angelegt, gut ausgestattet.
KOMMENTAR VON ADRIENNE WOLTERSDORF
Doch es bleibt die Frage: Warum erst jetzt? Hat es vielleicht doch damit zu tun, dass nach 60 Jahren zwar die letzten Zeitzeugen noch leben – aber die überlebenden Täter wegen ihres hohen Alters praktisch nicht mehr zu belangen sind? Spielte es vielleicht doch eine Rolle, dass, wer als aufstrebender Historiker über die großen Forschungstempel und Wissenschaftsinstitutionen und ihre Schuld in der Nazizeit kritisch forschte, damit seine akademische Karriere gefährdete?
Auch die MPG verweist diplomatisch darauf, dass ja eine vertrackte Archivgesetzgebung bislang offenes Forschen unmöglich machte. Doch gilt hier wie bei den Unternehmen auch: Die meisten Archivmaterialien waren und sind im Hausbesitz und keineswegs unerreichbar in Moskau oder Washington. Als es in den 90ern politisch notwendig wurde, sich nun „auseinander zu setzen“, fanden sich Wege, an unliebsame Informationen zu gelangen. So bescheren uns nun, 60 Jahre nach Kriegsende, unsere Leuchttürme und Vorzeigeinstitutionen eine neue Lust an der Geschichte. Resultat: eine wahres Aufbranden des Gedenkens und Aufklärens. Es ist ja alles endgültig Geschichte, niemand muss ernstliche Konsequenzen fürchten. Besser spät als nie, das gilt natürlich auch hier. Aber es bleibt eine Enttäuschung über viele vertane Jahrzehnte, wo unsere Demokratie Offenheit gebraucht hätte.