: Pro im Parlament, Contra im TV
Unmittelbar nachdem das italienische Abgeordnetenhaus den Irak-Einsatz verlängert hat, erklärt Silvio Berlusconi via Talkshow den Abzug der Truppen
AUS ROM MICHAEL BRAUN
„Schon von September an werden wir mit der schrittweisen Reduzierung der Zahl unserer Soldaten im Irak beginnen.“ Es war eine Bombe, die Silvio Berlusconi am Dienstagabend ganz nebenher in der populären politischen Talk-Sendung „Porta a Porta“ („Tür an Tür“) platzen ließ: Auch Italien plant nun den Rückzug seiner Truppen aus dem Irak.
Auf den ersten Blick kommt Berlusconis Beschluss aus heiterem Himmel. Ausgerechnet am selben Abend hatte das italienische Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der Regierungsmehrheit die Weiterfinanzierung des italienischen Truppenkontingentes von 3.300 Soldaten gebilligt, das im südirakischen Nassirija stationiert ist. Aber der Ministerpräsident dachte nicht daran, die Parlamentarier auch nur ansatzweise über seine Pläne zu informieren. Auch das Kabinett hatte Berlusconi offenbar außen vor gelassen. Außenminister Gianfranco Fini jedenfalls äußerte in einem ebenfalls am Dienstag vorab bekannt gemachten Interview mit der französischen Zeitschrift Le Point, er sehe „keine Gründe, unsere Truppen aus dem Irak abzuziehen“. Berlusconi dagegen sieht sie umso deutlicher – und nannte sie bei seinem Fernsehauftritt auch beim Namen: „Ich habe darüber auch mit Tony Blair gesprochen, wir müssen eine Ausstiegsstrategie entwickeln, weil das auch die öffentliche Meinung erwartet.“
In der Tat ist die angebliche „Friedensmission“ in Italien äußerst unpopulär, demonstrierten Millionen Menschen vor zwei Jahren gegen den Krieg, sprachen sich immer Mehrheiten für einen Abzug aus. Doch nur einmal fand das Land sich wirklich durch den Konflikt im Irak unmittelbar betroffen, nämlich als im November 2003 ein Kamikazeattentat in Nassirija 19 italienische Todesopfer forderte. Danach aber war das italienische Engagement im gegenüber Bagdad, Falludscha oder Ramadi relativ ruhigen Nassirija bei den Bürgern zu Hause fast in Vergessenheit geraten.
Der tragische Ausgang der Befreiung Giuliana Sgrenas aus der Geiselhaft aber, die Erschießung des Geheimdienstlers Nicola Calipari durch eine US-Patrouille, hatte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wieder auf Italiens Verwicklung in den Konflikt gelenkt. In den letzten Umfragen sprachen sich 70 Prozent der Bürger für den Rückzug Italiens aus – und dies in einem für Berlusconi höchst ungelegenen Moment. Am 3./4. April nämlich stehen in Italien landesweite Regionalwahlen an; sie gelten als der wichtigste politische Test vor der Neuwahl des Parlaments im Frühjahr 2006.
Zugleich versuchte Silvio Berlusconi bei seinem TV-Auftritt alles, um seinen Schwenk nicht als Abkehr vom Bündnispartner USA erscheinen zu lassen. Der Abzug hänge „von der Fähigkeit der irakischen Regierung ab, sich mit adäquaten Sicherheitskräften auszustatten“, erklärte er einerseits. Und andererseits leugnete er eine direkte Verbindung zum Tode Caliparis. Er, der noch Tage vorher die „rückhaltlose Aufklärung des Vorfalls“ gefordert hatte, lieferte vor laufenden Kameras plötzlich eine sehr US-freundliche Version der Ereignisse. Als „Privatbürger Berlusconi“ habe er sich seine Meinung gebildet: Junge, verängstigte Kerle seien da im nächtlichen Bagdad auf Patrouille gewesen, als plötzlich ein Auto vor ihnen aufgetaucht sei. „Da haben sie Warnschüsse mit Leuchtspurmunition abgegeben, und ich denke, eine dieser Salven ist danebengegangen.“
Und sowenig zu Hause das Parlament wie auch die Regierung über die italienischen Abzugsabsichten informiert waren, so sehr war offenbar die Bush-Administration eingeweiht. Scott McClellan, einer der Sprecher Bushs, erklärte seinerseits umgehend, das Weiße Haus sehe „keine Verbindungen“ zwischen den Erklärungen zu einem möglichen Rückzug von September an und dem Tod Nicola Caliparis.