Frei atmen bei Strafe verboten

In Nideggen/Eifel sollen Eltern 1.000 Euro Bußgeld zahlen, weil sie ihre Kinder nicht in die Schule lassen. Gutachten, nach denen das Schulgebäude verseucht ist, werden vom Amt nicht anerkannt

VON JÜRGEN SCHÖN

Das beschauliche Eifeldorf Nideggen steht Kopf: Eltern schicken ihre Kinder nicht mehr in die Schule. Dafür bekommen sie von der Bezirksregierung Köln Geldstrafen angedroht – bis zu 1.000 Euro soll sie ihre Renitenz kosten. Zwar können die Eltern Atteste vorweisen, nach denen es im Schulzentrum krank machende Ausdünstungen gibt. Doch diese werden vom zuständigen Gesundheitsamt nicht anerkannt.

Die Auseinandersetzung begann, als 2001 der gemeinsame Neubau für Gemeinschaftsgrundschule und Realschule eröffnet wurde. Bald klagten Schüler und Schülerinnen über Nasenbluten, Übelkeit, Erbrechen, Hautreizungen und Reizungen der Schleimhäute in Nase, Augen und Mund. Die Eltern machten unter anderem die Fußbodenbeläge dafür verantwortlich. Das zuständige Gesundheitsamt in Düren empfahl als Gegenmaßnahme regelmäßiges Lüften.

In der Folge gab es zahlreiche Gutachten und Gegengutachten. So beriefen sich die Eltern auf eine Untersuchung, die in der Schulluft das 600-fache der üblichen Menge Toluol und Dichlormethan nachwies; beide sind Lösungsmittel, die in Klebern verwendet werden. Außerdem wurden 5.000 Mikrogramm flüchtige Kohlenwasserstoffe pro Kubikmeter gemessen.

„Empfehlungen gehen von maximal 200 bis 300 Mikrogramm dieser gefährlichen Stoffe aus“, erklärt Klaus Ladwig von der „Interessengemeinschaft umweltgeschädigter Schüler und Lehrer der Gemeinschaftsgrundschule und Realschule Nideggen e.V.“ (IG), die rund 60 Elternpaare mit etwa 80 Kindern vertritt. Für ihren Einsatz wurde sie kürzlich von der „Initiative Schulen ohne Gift in Nordrhein-Westfalen“ mit einem Preis ausgezeichnet.

Vom Dürener Gesundheitsamt wiederholt beauftragte Experten stellten dagegen keine Gefährdung fest. Ladwig wirft den Behörden vor, das Problem zu verharmlosen: „Es stinkt immer noch, vor allem in der Heizperiode.“ Die jetzt vorgelegten Atteste für zehn Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse stammen von Volker Remmers, einem anerkannten Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Umweltmedizin in Gladbeck. Der bestätigte nach „exakten Untersuchungen, die leider selten so ausführlich durchgeführt werden“, die Krankheitssymptome einer Polyneuropathie. Ursache ist die Schulluft. „Die Symptome verschwinden in den Ferien. Diabetes, Alkoholismus oder Stoffwechselkrankheiten kann ich bei den Kindern als Ursache ausschließen“, begründet er seine Diagnose. Seine Empfehlung lautet denn auch, die Schule zu wechseln.

Kreisdirektor Georg Beyß, für das Gesundheitsamt Düren zuständig, bestreitet „Richtigkeit und Schlüssigkeit“ von Remmers‘ Attesten. „Merkwürdig, dass nur diese zehn Kinder, die alle aus dem Nachbarort Heimbach kommen, an der angeblich schwierigen Raumluftsituation leiden“, stellt er fest. Das Gesundheitsamt hat eine weitere Untersuchung empfohlen, Beyß hat die Sache an die Bezirksregierung in Köln verwiesen.

„Wir gehen davon aus, dass keine Gesundheitsgefahr besteht“, erklärt Katja Pustowka, Pressesprecherin der Bezirksregierung Köln, und verweist auf die Fachkompetenz des Dürener Gesundheitsamtes. In diesen Tagen ist eine Anhörung der Eltern angesetzt. Klaus Ladwig geht davon aus, dass die Eltern nicht einknicken werden, und hofft: „Dann muss die Sache endlich vor Gericht verhandelt werden.“ Nach Strafanzeigen gegen das Dürener Gesundheitsamt und den Schulträger wegen Körperverletzung wird noch ermittelt.