: Die schönen Paare spielen Krieg
Bei der Eiskunstlauf-WM bestimmen die russische und chinesische Schule den Paarlauf-Wettbewerb. Der Konkurrenzkampf zwischen den Lagern wird umso heftiger geführt. Das deutsche Duo Sawtschenko/Szolkowy ist über Platz sechs glücklich
AUS MOSKAU DORIS HENKEL
Wo alles glitzert und glänzt, Musik erklingt und schöne, sanft gleitende Menschen liebreizendes Lächeln verschenken, da knallt es gelegentlich gewaltig im Karton. Als die alten und neuen Weltmeister im Paarlauf, Tatjana Totmianina und Maxim Marinin, Mittwochabend in Moskau bei der Siegerehrung friedlich neben den chinesischen Dritten, Dan und Hao Zhang, standen, deutete nichts mehr auf einen mächtigen Zusammenstoß hin, der zu heißkalten Irritationen zwischen den Supermächten Russland und China geführt hatte. Aber der schöne Schein trog.
Hao Zhang, ein freundlicher junger Mensch mit der Figur eines Möbelpackers, war morgens beim Training voller Tempo mit der in einer Pose verharrenden Totmianina kollidiert, die daraufhin sehr unsanft auf dem Eise gelandet war. Während der Chinese später versicherte, er habe die Konkurrentin nicht gesehen, das Ganze sei ein Unfall gewesen und er habe sich schon entschuldigt, giftete Totmianina, sie wisse nicht, ob Absicht im Spiel gewesen sei, auszuschließen sei es jedenfalls nicht. Und deren Trainer, der frühere Olympiasieger Oleg Wasiliew, legte nach und meinte, das chinesische Paar sei im Training ohnehin sehr aggressiv gegenüber seinem gewesen und habe speziell versucht, Totmianina einzuschüchtern.
Verständlich, dass die Weltmeisterin sensibel auf Zwischenfälle reagiert angesichts eines Unfalls bei einem Wettbewerb in den USA zu Beginn des Winters; bei einem Sturz aus einer Hebefigur hatte sie sich seinerzeit eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen. Aber der Kommentar ihres russischen Landsmannes und WM-Zweiten Alexej Tichonow lässt vermuten, dass sie in ihren Unterstellungen zu weit gegangen ist. Auf die Frage, ob er auch etwas von einer gewissen Aggressivität der Chinesen im Training gemerkt habe, antwortete der allseits geschätzte Tichonow: „Nein, bestimmt nicht. Das ist doch ein freundschaftliches Verhältnis zu allen Chinesen.“
Viel hätte jedenfalls nicht gefehlt, und die Besten hätten sich gegenseitig aus dem Wettbewerb gerammt. Totmianina zog sich eine Prellung des Steißbeins und des Handgelenks zu, Zhang hatte es nach dem Zusammenprall derart im Kreuz, dass er bis zum Nachmittag daran dachte, nicht zur Kür anzutreten. Aus der Schlusspose nach der Kür konnte er sich am Abend nur mit Hilfe seiner Partnerin erheben, und sie war es auch, die ihn sicher zur Bande führte. Nachdem deren Landsleute, die zweimaligen Weltmeister Xue Shen und Hongbo Zhao, unmittelbar vor der Kür wegen einer Fußverletzung Zhaos zurückgezogen hatten, übernahmen Zhang/Zhang deren Part und gewannen wie in jedem Jahr seit 1999 eine Paarlauf-Medaille für China. Zwei russische Paare vor zwei chinesischen vor einem weiteren russischen – dieser Konstellation kann der Rest der Eislaufwelt nur begrenzt Spannung abgewinnen, zumal wenn es wie an diesem Abend an der Qualität des Wettstreits fehlt. Dass Tatjana Totminanina, 23, mit Worten weniger gefühlvoll umzugehen weiß als mit Kufen, war ihrer mitternächtlichen Beschreibung der Lage zu entnehmen. „Es gibt die russische und die chinesische Schule, und zwischen diesen Schulen herrscht eine Art von Krieg. Aber ich hoffe, dass die anderen Länder aufholen und dass es dann ein Weltkrieg wird.“ Sie lächelte und fand sich offensichtlich ganz witzig, die meisten Zuhörer aber fühlten sich abgestoßen.
Sachlich betrachtet könnte es im Sinne der attraktiven Vielfalt nicht schaden, wenn die westliche Variante im Paarlauf wieder eine größere Rolle spielen würde, vielleicht sogar die aus Deutschland. Nach einem starken Auftritt in der Kür landete Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy beim ersten WM-Start auf Rang sechs, und es sind nicht nur die Zahlen, die Hoffnung machen, sondern vor allem der ausdrucksstarke Stil der deutschen Meister. Das kenntnisreiche Publikum reagierte begeistert, und Trainer Ingo Steuer meinte, das Paar könne sehr stolz auf sich sein. Was er, der 1997 mit Partnerin Mandy Wötzel die dominierenden Russen besiegte und Weltmeister wurde, mit Sawtschenko/Szolkowy vorhat, ist kein Geheimnis. „Wenn sie ordentlich trainieren und machen, was ich sage, schaffen sie es aufs Podest.“ Wann und wo ließ er offen, aber es gab niemanden, der widersprach.