: Mehr als eine Liga-Mannschaft
Wenn nächsten Monat in Schwedens erster Liga der Fußball wieder rollt, ist auch Assyriska Södertälje mit von der Partie. Für die auf der ganzen Welt verstreuten Fans des assyrischen Einwandererklubs ist das ein „historischer Tag“
STOCKHOLM taz ■ „Champions League – wir kommen.“ Na ja, das müsse ja nicht gleich sein, dreht Njeb seine Erwartungen wieder etwas zurück: „Erst wollen wir uns in der Allsvenskan etablieren. Aber vielleicht in ein paar Jahren …“, sagt er schließlich. Njeb ist Assyriska-Fan. Und für Assyriska scheint nichts unmöglich. Assyriska ist die Fußballmannschaft, die assyrische Einwanderer in den Siebzigerjahren in der vor den Toren Stockholms liegenden Industriestadt Södertälje gegründet haben. Und wenn im April die diesjährige Fußballsaison in Schweden beginnt, spielt Assyriska in der „Allsvenskan“, der Bundesliga des Landes. Für Njeb ist das „ein historischer Tag“. Und er steht mit dieser Einschätzung nicht allein.
„Wir sind nicht nur eine Ligamannschaft“, sagt Zeki Basso, „Mister Assyriska“ und in den vergangenen 12 Jahren Vereinsvorsitzender: „Wir sind eine Nationalmannschaft.“ Die Nationalmannschaft eines Volkes, das seit 2.500 Jahren ohne eigenes Land ist. Die Assyrer aus dem Grenzgebiet der südöstlichen Türkei und Nordsyriens, welches sie selbst „Bethnahrin“ nennen, müssen noch dafür kämpfen, international und national als Volk mit einem Recht auf eigene Sprache (Suroyo, auch Aramäisch genannt), Kultur und ihre christlichen Religion anerkannt zu werden. Sie betrachten sich als Nachkommen der Assyrer, die schon einige 1.000 Jahre vor Christus im Zweistromland im jetzigen Irak siedelten. Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre begann, ausgelöst durch zunehmende Unterdrückung in ihrer Heimat, die große Emigrationswelle. 60.000 kamen nach Schweden, davon 12.000 nach Södertälje – nach Chicago heute die größte Assyrerkolonie –, viele wie Basso aus der Stadt Midyat.
Zekis großer Bruder Melek hat schon in Midyat Fußball gespielt. „Wenn sie ein Match gewonnen hatten, zogen sie mit Trommeln durch die Stadt“, erinnert sich Zeki. Dazu bot sich in Södertälje zunächst nicht so viel Gelegenheit. Die erste Saison des Einwandererklubs in der achten Kreisliga endete 1975 mit einem einzigen gewonnenen Punkt und einem Torverhältnis von 11:101. Doch dann ging’s bergauf. Vor allem als 1977 „Müller“ aus Midyat kam. Den urdeutschen Stürmer-Spitznamen hatte der 17-jährige Benyamin Bakircioglü nicht nur wegen seines Spielstils schnell weg, sondern auch weil er ähnlich wie sein Münchner Vorbild jahrelang Torschützenkönig wurde. Seine 49 Tore in der Saison 1979 ließen Assyriska den „historischen“ Schritt von der siebten in die sechste Liga tun. Und als er die Fußballschuhe 1991 auszog, hatte er den Verein in die Drittklassigkeit geschossen.
Das war ungefähr auch die Zeit, als Assyriska sich entschloss, mehr als ein bloßer Einwandererklub zu sein und auf ein Avancement zu einem Spitzenklub zu setzen. Zwar debütierten schon 1984 die ersten beiden nichtassyrischen Spieler – aus dem Iran und Nigeria – ab 1985 spielte sogar der erste „richtige“ Schwede mit. Doch war man noch immer eine relativ geschlossene Gemeinschaft. Heute ist nur noch rund ein Drittel des Kaders assyrischer Herkunft. Wie andererseits viele Ex-Assyriskarianer bei anderen schwedischen Erstligaklubs spielen.
Obwohl man bald die fußballerische Nummer eins in der 80.000-Einwohner-Stadt Södertälje war, interessierten sich die Medien nicht besonders für den „Ausländerverein“ und die großen Sponsorengelder blieben aus. Woran sich weder nach einem Vorstoß ins Pokalfinale 1999 noch mit dem jetzigen Erstligaaufstieg Entscheidendes änderte, so dass man zeitweise über einen Namenswechsel nachdachte: Von „Assyriska“ zu einem für Sponsoren vielleicht attraktiveren „1. FC Södertälje“. Nun nennt man sich im Untertitel „Hela Södertäljes lag“ – die Mannschaft von ganz Södertälje. Was die Stadtväter allerdings auch nicht zu mehr Engagement veranlasste. Manches Jahr ging das Budget nur dank Spendenaufrufen und Geldern von der EU-Kommission aus Brüssel für vorbildliche Integrationsarbeit auf. Noch bis zum Ende der letzten Saison musste Assyriska in einer städtischen Arena spielen, für die man mangels technischer Unzulänglichkeiten jährlich beim Fußballverband um eine Ausnahmegenehmigung betteln musste. Erst mit dem Aufstieg bequemte sich die Stadt zu den überfälligen Investitionen.
So ist man ein ganzes Stück weit ein „Ghettoklub“ geblieben. Aber einer mit weltweitem Publikum, über den die kalifornische Wochenzeitung Zinda Magazine schreibt: „Ihr Löwen im Klub Assyriska habt dafür gesorgt, dass wir Assyrer auf der ganzen Welt stolz darauf sind, eure Bewunderer sein zu dürfen.“ Zu wichtigen Spielen reisen Zuschauer nicht nur aus ganz Skandinavien an, sondern schon mal auch aus Deutschland, der Schweiz, Holland oder gar Australien. Das entscheidende Aufstiegsspiel wurde per Satellit in 82 Länder übertragen.
Es war kein schlechtes Jahr für die assyrische Einwanderergruppe in Schweden. Seit Juli haben sie einen eigenen TV-Sender, im Herbst holte sich Ministerpräsident Persson mit Ibrahim Baylan als neuen Schulminister einen der Ihren ins Kabinett. Und dann noch der Aufstieg. Wenn man jetzt auch noch das erste Match der Saison gewinnen würde: Am 10. April geht es gegen den Stockholmer Rivalen Hammarby. Ein mit Sicherheit heißes Derby. Auch weil beim Gegner Kennedy Bakircioglü spielt. Er ist der Sohn von Müller. REINHARD WOLFF