: System am Tropf
Eine kalte Cola gibt es in jedem tansanischen Dorf, an Moskitonetzen hapert es oft – Organisationen der Entwicklungshilfe arbeiten weder effektiv noch ergebnisorientiert
„Nie werden wir ein Projekt durchführen, nur weil uns ein Geldgeber die Mittel dafür gibt“, verspricht die Webpage einer ostafrikanischen Gesundheitsorganisation, um sich werbewirksam von anderen Hilfsorganisationen abzugrenzen. Und drückt so indirekt mit aus, wie es wirklich zugeht: Tatsächlich würde jede NGO nahezu jedes Projekt realisieren, wenn etwa EU oder Weltbank Förderung dafür in Aussicht stellen. Denn mit jedem Euro für eine einzelne Initiative wächst anteilig auch die Administration der NGO, vergrößert sich der Fuhrpark und steigt am Ende das Ansehen der Organisation selbst. Wer kann da schon Nein sagen?
Innerhalb weniger Jahre kam es zu einem regelrechten Boom der NGOs in Afrika. Vom Regierungsangestellten bis Arbeitslosen wollte plötzlich jeder am ausländischen Geldfluss partizipieren, in dem er seine eigene Hilfsorganisation gründete. Der Westen förderte dies, im Sinne moderner Entwicklungspolitik – setzte auf die Initiative der afrikanischen Partner, statt eigene Projekte zu realisieren.
Geschätzt 4.000 NGOs operieren inzwischen landesweit allein in Tansania, damit kommen auf eine Organisation 8.975 Tansanier. Nicht gezählt weitere 8.000 NGOs, die nur regional operieren. Da sollte man doch annehmen, dass zumindest die Grundversorgung funktioniert. Das aber ist keineswegs der Fall. Wer sich heute, nach knapp einem halbem Jahrhundert Entwicklungspolitik, in Ostafrika auch nur fünfzig Kilometer aus einer Metropole herausbewegt, kann kaum Fortschritt erkennen. So gut wie nichts hat sich für die Menschen dort verbessert.
Warum greifen all die Initiativen nicht? Ganz einfach, die Organisationen arbeiten ineffektiv, weil sie prinzipiell mehr an Input denn Output orientiert sind. Statt den Notleidenden haben sie vor allem die eigene Existenz vor Augen. Die internationale Entwicklungspolitik hat über Jahrzehnte einen Apparat finanziert, der in seiner Bürokratie dem einstigen Sozialismus Tansanias kaum nachsteht. Umgekehrt jedoch lernten die jungen Projekt- und Public-Relations-Manager in den NGOs schnell, wie der neue Markt abläuft.
Er funktioniert über Ausschreibungsverfahren, in denen die NGOs den Geberorganisationen konkrete Projektideen anbieten. Dabei kennt man mit der Zeit natürlich die Vorlieben des potenziellen Partners und richtet seine Vorschläge entsprechend aus. „Wenn man weiß, was der Geber möchte, kommt man leichter an Fördergelder, indem eigene, vielleicht nicht kongruente Ideen zur Entwicklung zurückgestellt werden“, stellt der Jahresbericht Tansania 2003 der Friedrich Ebert Stiftung fest. Soll heißen: Statt aus lokaler Sicht richtige Ansätze zu vertreten, verlegt man sich auf das, was geht: Bestimmte Ansätze passen ins entwicklungspolitische Paradigma, andere eben nicht.
Diese Bedienung von Erwartungshaltungen funktioniert nicht nur beim Antrag von Mitteln, sondern auch bei den Rückmeldungen: Wohl wissend, was die Geber lesen wollen, protzen die verlangten Reports mit vielversprechenden Zahlen und Tendenzen, um nur ja den Spendenfluss aufrechtzuerhalten. Den verantwortlichen Vertreter der Geberorganisation vor Ort zu überzeugen, fällt dabei in der Regel nicht wirklich schwer, da dieser die eigene Mittelvergabe für das von ihm einst gut geheißene Projekt auch gegenüber seiner „Zentrale“ vertreten muss. Über gescheiterte Aktionen erfährt man so allerdings selten bis nie.
Im Übrigen bewegen sich die meisten Interventionen in einem ständigen Try-and-Error-System, werden jedes Mal neue Wege ausprobiert, statt einmal als richtig Erkanntes konsequent weiter anzuwenden. Unter der Flagge „wir beschreiten neue Pfade!“ will jede NGO eigene „Tools“ entwickeln – und sich damit weiter profilieren. Das führt zu einer ewigen Probephase, in der sich ausbleibender Erfolg dann auch leichter erklären lässt – es war halt einen Versuch wert.
Ein privates Unternehmen könnte sich das niemals leisten. Hier zählen am Ende des Jahres schwarze Zahlen. Deshalb kriegt man noch im kleinsten tansanischen Dorf eine kalte Coca-Cola, während man in der Welt der NGOs noch immer an Verteilungswegen von Moskitonetzen tüftelt. Oder gar die Frage diskutiert, ob Netze überhaupt das richtige Mittel im Kampf gegen Malaria sind: Sollte man nicht besser auf die Zerstörung der Brutstätten setzen? Oder bedarf es einer kombinierten Strategie? Solche Fragen werden im Jahr 2005 tatsächlich noch gestellt!
Während sich in einem Unternehmen Investitionen irgendwann auszahlen müssen, erzeugt das Leben in Abhängigkeit von Spenden vor allem Nehmermentalität. Der Geldstrom aus dem Westen ist für viele längst Teil einer Normalität, nicht Zeichen von Missständen. Kein Wunder, ist doch inzwischen eine ganze Generation am Tropf der Geberländer groß geworden. Ein typischer Projektmanager, heute zwischen 30 und 40 Jahren alt, kennt überhaupt kein anderes System. Allein 2004 erhielt Tansania eine Milliarde Euro ausländische Hilfe – was 45 Prozent vom Gesamthaushalt des Landes entspricht. Gleichzeitig stieg im ersten Vierteljahr 2004 die Korruption allein im Regierungsapparat um 51 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nur wo Geld im Umlauf ist, lässt es sich eben auch abzweigen.
Doch der ewige Hinweis auf korrupte Politiker lenkt nur allzu leicht davon ab, dass das System in sich nicht funktioniert. Rundum abgefedert, entwickelt eine Organisation kein modernes Management, sondern fördert Konformismus statt Kreativität. Am Ende wird jede Einsicht in wirtschaftliche Werte verbaut.
Natürlich lässt sich der Erfolg einer Initiative etwa zur sexuellen Aufklärung Jugendlicher schwerer bemessen als der Absatz von Getränken. Aber allein mit Kontrolle wird man kaum die Pariser Deklaration zur „Aid Effectivness“ und schon gar nicht die hochgesteckten Millenniumsziele verwirklichen.
Was fehlt, ist ein System, das die Lösung von Problemen sanktioniert, Eigeninitiative und Leistung jedes Einzelnen aber belohnt. Langfristig muss die afrikanische Gesellschaft lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Voraussetzung dafür ist ein gerechtes Welthandelssystem auf globaler Ebene, lokal ist die persönliche Verantwortung der einzelnen Akteure nötig. Nur wenn sich ihr Einsatz auch für sie selbst auszahlt, werden sie sich auch engagieren. Dazu muss man zunächst die, die dazu in der Lage sind, in die Verantwortung nehmen. Beispiel Gesundheit: Es kann nicht sein, dass bestens ausgebildete Ärzte lieber als Public-Health-Spezialisten in der Verwaltung einer NGO arbeiten, statt in einem Buschhospital die Kranken zu versorgen. Würden statt Organisationen eher selbstständige Arztpraxen gefördert, würde sich ein auf Dauer sicher selbsttragendes Modell etablieren – mittels Anschub-, nicht Dauersubventionierung. Diese Einsicht muss sich von innen entwickeln. Aber dazu ist nur jemand in der Lage, der Eigenverantwortung empfindet und nicht wie ein Komapatient am Tropf der Geberländer seine Bewegungsfreiheit verliert.
ROLAND BROCKMANN