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Archiv-Artikel

Auf dem Rücken der Pferde

Sie stärkt die Rumpfmuskulatur und inspiriert das Nervensystem: Hippotherapie kann Menschen mit Bewegungsstörungen zu mehr Bewegungsfreiheit verhelfen. Aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen wurde sie allerdings gestrichen

von Kirsten Poneß

Mit gleichmäßigen Schritten dreht Wallach Bo seine Runden. Der kleine blonde Reiter, der sichtlich vergnügt auf dem blanken Pferderücken sitzt, lenkt den Fuchs nicht selbst – eine Pferdeführerin gibt Anweisungen am langen Zügel –, denn Nico leidet an Microcephalus, einer frühkindlichen Hirnschädigung, die ihn geistig und körperlich einschränkt. Ab und zu dreht sich der 11-Jährige zur Seite, um Blickkontakt zu der Frau an seiner Seite aufzunehmen, die nebenher- geht und aufpasst, dass er nicht fällt: Hanne Benke vom Zentrum für Hippotherapie Lindenhof-Datum, nördlich von Hamburg.

Benke, Physiotherapeutin mit Zusatzausbildung Hippotherapie, ihre zwei Kolleginnen und sechs Pferdepflegerinnen arbeiten mit Patienten, die wie Nico unter Bewegungsstörungen leiden. „Wir wollen den Gangrhythmus des Pferdes auf das Becken des Patienten übertragen“, erklärt sie die Behandlungsmethode.

Das Bewegungsmuster des Tieres entspreche dem Gehen eines gesunden Menschen. Während Nico sich über den Sand der Reithalle tragen lässt, nimmt sein Becken die dreidimensionalen Bewegungen des Pferdes auf und leitet sie an die Wirbelsäule weiter. Die Muskeln im Rumpf werden angeregt, bewegen sich, werden gestärkt und geben Impulse an das Nervensystem weiter. Nicos Körper wird, ohne dass er bewusst etwas dafür tut, aufgefordert, sich aus eigener Kraft im Gleichgewicht zu halten.

„Bei Kindern sind die Therapieerfolge generell am größten“, sagt Benkes Kollegin Ute Ramcke. „Der Körper, der noch im Wachstum ist, findet immer noch Wege, um sich Funktionen neu zu erschaffen, meist auf Umwegen.“ Das heißt, dass sich durch die Anregung der Muskeln von außen bei Kindern neue Nervenbahnen entwickeln können.

Doch auch Erwachsenen könne die Hippotherapie helfen. Multiple-Sklerose- oder Schlaganfall-Patienten können Bewegungsimpulse nicht mehr richtig steuern, da ihr zentrales Nervensystem geschädigt ist. Die Behandlung auf dem Pferd stärkt die Rumpfmuskulatur und regelt die Muskelbewegung in Armen und Beinen. So können viele Patienten nach der Therapie längere Strecken gehen oder auch einen spastischen Arm gezielter einsetzen.

Sechs Pferde stehen im Hippotherapie-Zentrum für Patienten bereit, von Hanne Benke und Ute Ramcke sorgfältig ausgesucht und selbst ausgebildet. Das Wichtigste sind ein taktreiner Schritt und ein guter Charakter, sagt Benke. Ob ein Pferd patiententauglich ist, entscheidet sich meist erst nach einem halben Jahr Training, denn „während der Therapieeinheit müssen sich die Pferde sehr zusammennehmen“. Sie müssen gelehrig und seelisch belastbar sein, denn die Arbeit mit den Patienten erfordert höchste Konzentration. Nur eineinhalb Stunden ist ein Tier im Einsatz, dann wird es durch ein anderes ausgetauscht. Zum seelischen Ausgleich werden sie im Gelände geritten und haben jedes Jahr drei Wochen Pause zum Austoben auf der Weide.

Fuchs Bo macht seine Sache gut. Er lässt sich weder durch gelegentliches Juchzen noch durch unkontrollierte Bewegungen seines kleinen Reiters stören. Denn bei der Hippotherapie geht es um das Pferd als Therapiemedium, nicht um die Beziehung zwischen Patient und Tier. Auf welchem Pferd der Patient behandelt wird, hängt von der Statur des Tieres ab. „Jedes Pferd hat einen anderen Rhythmus und somit eine andere Schwungübertragung“, erklärt Hippotherapeutin Benke. Die ersten Therapiestunden in Lindenhof-Datum hatte Nico auf dem breiten Haflinger Karl absoviert. Der schmalere Bo nun bietet mehr Bewegung und fordert den Jungen stärker.

Nico, der nicht allein laufen kann, sitzt aufrecht ohne Sattel auf dem Pferderücken und blickt rege in die Halle. Das war nicht immer so. „Zu Anfang konnte er nur auf dem Pferd liegen“, erzählt seine Mutter, die ihren Sohn hinter einer Glasscheibe beobachten kann. Nach einem halben Jahr Hippotherapie bereits konnte der damals Vierjährige seinen Rumpf und später auch seinen Kopf kontrollieren. Ohne Therapie indes, warnt Benke, würde Nico bei jedem Wachstumsschub einen Teil seines Forschritts wieder einbüßen.

Zentrum für Hippotherapie, Tel.: 04101/654 66, www.zentrum-hippotherapie.de