: In der Küche des Meisters
Der Sterne-Koch Thomas Kammeier hat kulinarisch ambitionierte Laien in seine Töpfe gucken lassen. Serviert wurden Einblicke in handwerkliche Feinheiten und die Philosophie des guten Geschmacks
VON VOLKER ENGELS
Im ersten Moment beeindruckt vor allem der Blick, der den Arbeitsplatz zu einem der interessantesten in Berlin machen dürfte: In der 14. Etage des Hotels „Interkontinental“ liegt er, weit über den Dächern der meisten Berliner Häuser. Hier arbeitet der Berliner Spitzenkoch Thomas Kammeier mit seinem Team. Heute lässt er im „Hugos“ eine Gruppe Laienköche in Topf und Pfanne gucken, serviert wird ein „Gourmetkochkurs“.
Die Begrüßung findet bei einem Glas Champagner statt, das „ein wenig auflockern soll“. Immerhin sind die neun Teilnehmer, die sich in der Küche des Meisterkochs eingefunden haben, keine Profiköche vom Fach, eher sehr fachkundige Laien. Eine gewisse Unruhe, ob das mühsam bei Alfred Biolek und Kollegen via Fernsehen erworbene Kochwissen denn ausreicht, um in dieser Küche mithalten zu können, ist schon da: Immerhin ist der freundliche 38-Jährige „Berliner Meisterkoch 2004“, wurde mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und mit 17 von 20 möglichen Kochmützen des Gault Millau prämiert.
Von solchen Auszeichnungen völlig unbeeindruckt zeigt sich allerdings der Hummer, der auf einer Arbeitsplatte liegt und vermutlich ahnt, dass es bald für ihn ziemlich ungemütlich werden könnte. Während Kammeier die Unterschiede zwischen einem europäischen und einem kanadischen Hummer erläutert, fallen der Teilnehmerblick und wahrscheinlich auch der unruhige Hummerblick aus dem Fenster der 14. Etage auf das Berliner Aquarium, das unten nur einen Steinwurf entfernt vom „Hugos“ liegt: Den Hummer-Kollegen dort unten droht sicher nicht so schnell der Hitzetod durch kochendes Wasser.
Um das Tier nicht unnötig zu quälen, kommt es mit dem Kopf zuerst in das kochende Kamillewasser. „Die Kamille soll das Tier nicht beruhigen, das ist für den Geschmack“, erklärt der ehemalige Zivildienstleistende. Er steht einem mehrköpfigen Küchenteam vor, das im Hintergrund mit professionellem Gleichmut konzentriert seinem Kochhandwerk nachgeht. Auch wer noch nicht auf umfangreiche Erfahrungen mit Hummer zurückgreifen kann, lernt hier, wie man das zubereitete Tier fachgerecht aus seinem Panzer schält. „Keine Angst, das gelingt auch bei uns nicht immer perfekt“, tröstet der Küchenchef einen ergriffen blinzelnden Teilnehmer.
Unter dem Stichwort Geschmacksbildung werden die Zuschauer dazu eingeladen, auszuprobieren und Neues zu versuchen. Mit den Sinnen experimentieren heißt das Credo: sehen, riechen, schmecken. Das Studienobjekt sind Langustinen, die in ihrem Aussehen an einen Hummer erinnern, der unter Wachstumsstörungen leidet. Und im ersten Moment leidet wohl auch mancher der angehenden Gourmetköche: Als Kammeier das Meerestier fachkundig zerlegt, kommt unter anderem ein grünlich-schleimiges Etwas zum Vorschein: Alien lässt grüßen! Doch in diesem Fall landet der außerirdisch anmutende Glibber nicht im Weltall, sondern im Abfall. Mit einfachen Mitteln kulinarisch aufbereitet, ließe sich allerdings auch daraus eine Delikatesse kreieren.
Erstaunlich ist der frische Geschmack nach Meer und leichtem Nussaroma, als sich das restliche roh als Tatar zubereitete Schwanzfleisch auf der Zunge angenehm breit macht. Dass weniger oft mehr ist, belegt ein weiterer kleiner Test: Eine Spur einfaches Meersalz wirkt deutlich als Geschmacksverstärker für den Tatar, mit einem Hauch Sesamöl und Koriander verändert sich der Geschmack erneut. Vorausgesetzt, die Konzentration auf der Zunge stimmt!
Anders als bei manch anderem Gastronom der oberen Liga steht bei Kammeier auch einmal ein Braten auf der Speisekarte. Heute wird ein geschmortes Schulterscherzel zubereitet, das von einem Rind aus der Region stammt. „Ich greife häufig auf regionale Produkte zurück“, sagt Kammeier, der auch regelmäßig Bioprodukte oder naturbelassene Lebensmittel in der Küche verwendet. Das Fleisch wird in Pflanzenöl angebraten, das geschmacksneutral ist. Denn darum geht es in der Küche des Kochs, der auch eine abgeschlossene Bäckerlehre in der Tasche hat: „Wir versuchen, den Eigengeschmack des Produkts rauszuarbeiten und zu unterstreichen.“ Das gelingt aber auch beim Anbraten nur dann, wenn „Geduld und Zeit“ investiert wird.
Die Fragen der Teilnehmer beantwortet der Koch freundlich und geduldig, mindestens ein Auge hat dabei den Braten im Blick. Gemüse, Tomatenmark, Rotwein und Gewürze bringen Geschmack in den Bräter. Die nächsten vier Stunden schmort das Fleisch bei 150 Grad dann alleine weiter. Dass ein Braten auch in der gehobenen Küche wieder eine Rolle spielt, ist nicht selbstverständlich: Gerade Schwein sei einige Zeit von den Speisekarten verschwunden gewesen: „Das Schwein wird aber wieder hoffähig.“
Bevor die Teilnehmer an einer festlich gedeckten Tafel Platz nehmen, um die Küchenschürze mit Teller, Besteck und Weingläsern zu vertauschen, wird nicht nur eine Seezunge fachmännisch zerlegt und ein Mohnstrudelteig („ziemlich mühsames Geschäft“) nebst Füllung zubereitet. Kammeier stellt seine Olivengnocchi vor, die bei der Herstellung komplett ohne Kartoffeln auskommen: Neben Ricotta und Oliven besteht die Beilage unter anderem aus Parmesan, feinem Spinatpüree und Olivenöl. „Der engagierte Laie kann sechs oder sieben Olivenöle zu Hause haben“, sagt der Küchenchef, dem der Gault Millau bescheinigt hat, mit einer „Präzision, die noch an Schärfe gewonnen hat“, die Speisen auf den Punkt zu bringen.
Der engagierte Esser freut sich nach spannenden und anregenden Stunden vor allem auf das anschließende mehrgängige Menü. Der engagierte Koch hat gerade Zeit für ein Getränk, bevor die Küche wieder ruft. Bei aller Lust und Leidenschaft ist die gehobene Küche vor allem eines: harte Arbeit.