„Nicht vergessen: Es handelt sich um Kinder“

Die Sozialpädagogin Susanne Luh arbeitet mit strafunmündigen Intensivtätern. Für sie ist klar: Es gibt zu wenig Angebote für Kinder zwischen 10 und 13. Deshalb begrüßt sie die Initiative der Polizei. Und rät: Nicht lockerlassen

taz: Frau Luh, die Polizei startet ein Präventionsprojekt für Kinder, die in Gefahr sind, kriminell zu werden. Wäre das nicht Aufgabe der Jugendhilfe?

Susanne Luh: Natürlich ist es Aufgabe der Jugendhilfe, sich um gefährdete Kinder zu kümmern. Das Problem ist nur: Es gibt zu wenig Projekte für die Altersgruppe von 10 bis 13. Sie fallen durch die Raster, deshalb werden sie auch Lückekinder genannt.

Jetzt versucht die Polizei also, diese Lücke zu füllen?

Die Polizei hat die Kinder, die durch Diebstahl oder andere Vergehen auffallen, tagtäglich bei sich auf der Wache sitzen. Das nimmt in Berlin zu. Ich vermute, die Polizei sieht einen Handlungsbedarf, der von der Jugendhilfe noch nicht gesehen wird.

Die Polizei will für die Kinder einmal wöchentlich einen sozialen Trainingskurs abhalten. Genügt das?

Der Trainingskurs zielt vermutlich eher auf den Erwerb von neuen Konfliktlösungsstrategien ab. Die Polizei arbeitet dabei auch mit dem Verein Sport- und Jugendsozialarbeit zusammen, der noch andere Angebote macht. Da wird auf vielen Ebenen eine Zusammenarbeit erfolgen.

Das Projekt „Fallschirm“, für das Sie arbeiten, betreut junge Mehrfach- und Intensivtäter. Was kann man bei Ihnen noch ausrichten?

In der Zeit von 2001 bis 2004 haben wir 54 Kinder betreut. Die meisten sind materiell und emotional verwahrlost. Wir vollbringen keine Wunder, aber in der Hälfte der Fälle sind die Hilfen erfolgreich beendet worden.

Was bedeutet erfolgreich?

Positiv ist, wenn die Kinder keine Straftaten mehr begehen oder nach Anzahl und Qualität erheblich reduziert. Vorher haben sie ja Raub- und Körperverletzungsdelikte begangen. Ein riesiger Erfolg ist, wenn die Kinder wieder regelmäßig in die Schule gehen, dort eigenständig lernen und wenn die Eltern ein konsequenteres Erziehungsverhalten zeigen. Ein Erfolg ist auch, wenn Kinder, die lange nicht mehr in der Schule waren, in einem Schulschwänzerprojekt untergebracht werden können.

Was passiert mit den anderen 50 Prozent?

Entweder wird die Hilfe wegen mangelnder Mitarbeit der Kinder oder der Eltern abgebrochen: Wir haben es immer wieder mit Eltern zu tun, die in mafiösen Strukturen leben und keine Hilfe von außen akzeptieren. Auch die Brüder geben oft kein leuchtendes Bespiel ab. Teilweise kommen die Kinder auch in Untersuchungshaft, wenn sie 14 werden und damit strafmündig sind.

Was ist für Sie das größte Problem?

Die Kinder zu motivieren, sich wieder auf den richtigen Weg zu begeben. Sie leben oft in dem Gefühl, mit dem, was sie tun, erfolgreich zu sein und auch Geld zu haben. Die Gang, mit der sie rumziehen, ist für sie total attraktiv. Sie gibt ihnen eine Art Heimat. Dagegen anzukommen, ist unglaublich schwer.

Wenn Sie der Polizei für ihr Projekt einen Rat geben könnten– wie sähe der aus?

Feste Regeln setzen. Die dürfen aber nicht darauf hinauslaufen, dass die Beziehung abgebrochen wird. Viele unserer Kinder fallen aus regulären Hilfen heraus, weil sie sich aggressiv verhalten und sich entziehen. Darum der Rat: Wenn sich die Kinder in den einmal pro Woche stattfindenden Kursen von ihrer schlechtesten Seite zeigen, nicht lockerlassen. Geduld und ein gewisses Maß an Dickfälligkeit bewahren und nicht vergessen: Es handelt sich um Kinder.

INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE