: Grazer Tautologien
Morgen geht in Graz die Diagonale zu Ende. Nach den Querelen der letzten zwei Jahre hat das Festival des österreichischen Films ein neues Intendantentrio, das auf integrative Gesten setzt
von DOMINIK KAMALZADEH
Ein politischer Erfolg war die Diagonale bereits, bevor sie überhaupt beginnen würde. Das neue Intendantentrio, Birgit Flos, Robert Buchschwenter und Georg Tillner, konnte in diesem Jahr in Graz wieder ein offizielles Festival des österreichischen Films veranstalten. Es genießt das Vertrauen der Filmbranche und hat auch die Zustimmung der Bundespolitik, die nach den Auseinandersetzungen der vergangenen zwei Jahre keine andere Alternative hatte, als die Veranstaltung wieder zu subventionieren. Letztes Jahr war die Diagonale noch eine Gegendiagonale gewesen; erfolgreich hatte man sich gegen politische Vereinnahmungsversuche des Kunststaatssekretärs Franz Morak (ÖVP) gewehrt. Ein nuanciertes Konzept für zukünftige Festivals war dabei noch nicht abzusehen. Einig war man sich darin, die Repräsentation des filmischen Jahresschaffens nach eigenen Regeln zu gestalten und dabei auf die Kontinuität eines bewährten Modells zu setzen.
Die Eröffnung am vergangenen Montag schien diesen Kurs zu bestätigen. Dass der Schwerpunkt der Auseinandersetzung nunmehr wieder bei den Filmen liegen solle, war Tenor der Ansprache. Der Festivaltrailer endete mit dem Insert „und alles dürstet nach Liebe“. Das konnte man ironisch verstehen, aber auch im Sinne einer integrativen Geste. Auf der neuen Diagonale soll sich niemand mehr ausgeschlossen fühlen und jedes Format seinen Platz finden: vom Nachwuchsfilm über abstrakte Musikvideos bis zum betulichen Fernsehfilm des staatlichen Rundfunksenders ORF.
Mit Jörg Kalts Spielfilm „Crash Test Dummies“ wählte man einen Eröffnungsfilm, der die Frage der Ausrichtung auf implizite Weise beantwortete. In Wien-Mitte, einem urbanen Verkehrsknotenpunkt, treffen sich einige Figuren, unter ihnen auch ein rumänisches Pärchen, nach dem Zufallsprinzip. Es entstehen kurzzeitig neue Allianzen, während alte auseinander zu brechen drohen. Gemeinsam ist allen Figuren eine gewisse Abneigung gegen den Status quo, aber es fehlt an konkreten Ideen, wie man aktiv werden könnte. „Crash Test Dummies“ folgt einer Tendenz neuerer Filme aus Österreich, die Zivilisationskritik mit sozialen Pattsituationen gleichsetzt. Mittels absurd-surrealer Einschübe verleiht Kalt dem Sujet jedoch eine etwas andere Dynamik: Figuren stolpern schon mal ohne Grund – und genau solche Missgeschicke sind es, die ihnen zwar keine neuen Möglichkeiten, aber zumindest eine gewisse Erleichterung verschaffen.
Weniger tautologisch ging es auf dem Feld des Dokumentarfilms zu, der auf eine andere Ausrichtung der Diagonale verwies: Im Jahr 2000 gab es die Reihe „Die Kunst der Stunde ist Widerstand“ mit spontan produzierten Videos gegen die rechte Regierungskoalition. „Artikel 7 – Unser Recht“, ein Film über die Kärntner Minderheitenproblematik, und „Operation Spring“ (Regie: Tristan Sindelgruber, Angelika Schuster) sind zwei Arbeiten, die in dieser Tradition stehen, wenn sie sich auch dem Schauplatz Politik mit Rechercheaufwand und größerer Nachhaltigkeit widmen. „Operation Spring“ befasst sich mit einer Polizeiaktion, die 1999 als Erfolg gegen die organisierte Drogenkriminalität gewertet wurde. Zustande kam er durch den ersten österreichischen Lauschangriff: Über hundert Afrikaner wurden verhaftet, nachdem man einen angeblichen Umschlagplatz überwacht hatte; die Verfahren, die daraus hervorgingen, endeten meist mit Schuldsprüchen.
Der Film legt diese Prozesse noch einmal dar und deckt dabei grobe juristische Fahrlässigkeiten auf. Auf den Überwachungsvideos waren weder Personen noch Dialoge eindeutig zuzuordnen, und Anklagen waren kaum zu entkräften, weil man sie allgemein hielt: „zu unbekannter Zeit, an unbekanntem Ort“. Weil aber der Erfolg einer neuen Form der Kriminalitätsbekämpfung auf dem Spiel stand, schien man solche Grauzonen bewusst in Kauf zu nehmen.
Es wäre interessant gewesen, anhand dieser politischen Arbeiten über die Frage von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit zu diskutieren, zumal sich die Filme stets auch an dominanten Bildern abarbeiten (in „Artikel 7 – Unser Recht!“ wird Medienarchäologie betrieben, da gezeigt wird, dass der ORF in den 70er-Jahren weitaus mehr Standpunkte zuließ als heute). Trotz der Forcierung des Diskursangebots fand eine solche medienpolitische Auseinandersetzung allenfalls am Rande statt. Will die Diagonale ein Erfolgsmodell bleiben, sollte sie sich bemühen, die Frage nach kritischen Öffentlichkeiten noch stärker zu akzentuieren, statt diese einfach nur zur Verfügung zu stellen.