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Archiv-Artikel

Im Regen Schönwetter machen

SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück geht in die Charmeoffensive: Er hat die weiblichen Wähler für sich entdeckt. Von schlechten Schwingungen aus Kiel will der Norddeutsche dagegen nichts wissen

AUS GELSENKIRCHEN UND ESSEN KATHARINA HEIMEIER

Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) hat den Verräter von Kiel identifiziert. „Ich glaube, es war ein Mann“, ruft er vom Podium in die Menge, die sich am Samstagnachmittag in der Essener Fußgängerzone zusammen gefunden hat. Eine Frau hätte doch Heide Simonis bei der Wahl zur Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein nicht vier Mal ihre Stimme verweigert.

Als einige Frauen juchzen und in die Hände klatschen, grinst Steinbrück und legt nach: „Es kommt auf die weiblichen Wähler an.“ Da gibt es für drei Damen mittleren Alters mit blond gefärbten Haaren kein Halten mehr. Am Ende von Steinbrücks Rede klatschen sie rhythmisch und rufen dabei: „Weiter so! Weiter so!“ Weiter so? Neun Wochen vor der Landtagswahl geht Peer Steinbrück in die Charmeoffensive. Er hat die weiblichen Wähler für sich entdeckt. Das Debakel von Kiel? Hat keine Bedeutung für Nordrhein-Westfalen. „Jede Wahl ist ein Unikat. Wir machen hier Wahlkampf in eigener Sache“, sagt Steinbrück. Wie ein Mantra wiederholen Steinbrück und der Parteivorsitzende Franz Müntefering, der zur Unterstützung extra aus Berlin angereist ist, diese Sätze.

Die nordrhein-westfälische CDU verbreitet unterdessen hämische Faxe mit einem Zitat von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). „Wir sind uns bewusst, dass NRW aus eigener Kraft nicht mehr zu gewinnen ist.“ Das soll der Kanzler nach einem Artikel in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit gesagt haben – zu einem Zeitpunkt, als Heide Simonis noch guter Hoffnung sein konnte, gewählt zu werden. Schon seit dem knappen Ausgang der Landtagswahl in Schleswig-Holstein ist Rot-Grün in NRW in den Umfragen hinter Schwarz-Gelb zurückgefallen. Das macht die Genossen nervös.

Die SPD will nun mit aller Macht ihre Stammwähler mobilisieren. Damit beginnt sie an diesem Samstagmorgen in Gelsenkirchen. Doch der Morgen startet mit einer schlechten Nachricht: „Der Franz kommt später“, verkündet ein Genosse im wasserfesten roten Anorak. Steinbrück muss ohne den Parteivorsitzenden Müntefering loslegen. Er baut sich vor dem Mikrofon auf. Im Haus gegenüber öffnet eine Frau das Fenster. Es beginnt zu regnen. Die Frau holt einen Eimer Wasser und putzt die Fenster. So spricht der Ministerpräsident zu rotbemäntelten Wahlkampfhelfern, Regenschirmen, Kameras und einem Fensterleder. Der Gelsenkirchener Arbeitslosenquote von 22 Prozent zum Trotz lobt der Regierungschef tapfer den Berliner „Job-Gipfel“, mahnt die Verantwortung der Unternehmen an.

Auf dem Markt läuft er alten Damen mit einem Bund Rosen hinterher. Potenzielle Wählerinnen. Viele der Frauen sind bereits ergraut. Steinbrück spricht sie unverdrossen mit „junge Dame“ an und bringt seine Opfer so zum Erröten. „Die hält bis zum 22. Mai, wenn Sie sie schön pflegen“, sagt er zu einer Frau, als er die Rose übergibt und die Kameras der Fotografen klicken. Da raunt eine, die leer ausgegangen ist: „Das halt ich für ein Gerücht.“ Und ein älterer Mann ruft dem Ministerpräsidenten hämisch hinterher: „Der kennt doch nicht mal die Namen der Spieler von Schalke.“ Steinbrück hört das nicht. Er ist schon vorbei gerauscht mit einem Pulk von Kameramännern, Fotografen und Reportern im Schlepptau. Frei nach dem Motto „minimaler Aufwand, maximale Wirkung“ lässt sich die nordrhein-westfälische SPD beim Wahlkämpfen filmen. Steinbrück und Müntefering verteilen zusammen an diesem Tag höchstens 50 rote Rosen. Aber diese Bilder! Peer, der Charmebolzen, schenkt einer alten Dame ein Blümchen. Franz, der Kumpel mit dem roten Schal, reckt beide Daumen in die Höhe. Peer und Franz stehen Seit‘ an Seit‘ auf dem Podium.

Und nach Ostern wird dann „richtig feste Wahlkampf“ gemacht, wie es der Parteivorsitzende Müntefering formuliert. „Der Franz und ich, wir haben Zahlen vorliegen, danach entscheiden sich 20 bis 25 Prozent der Wähler erst in den letzten sieben Tagen vor der Wahl, ob sie überhaupt wählen gehen“, sagt Steinbrück.

Am Nachmittag in Essen ist die Stimmung gut. Es regnet nicht mehr. Müntefering ist inzwischen angekommen und läuft sich warm. Einen Stänkerer, der bei der Kundgebung immer dazwischen krakeelt, fertigt er ab: „Hier ist sogar einer, der will CDU wählen. Aber wenn die in so kleinen Gruppen auftreten, ist das nicht so schlimm.“ Auch der stumme Protest der WASG – Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, ein Plakat in die Höhe gereckt, bleibt nicht unkommentiert: „Wir müssen die Gesellschaft erneuern und das sage ich auch denen, die mit diesem Plakat unterwegs sind.“

Müntefering ist erleichtert, in NRW zu sein – trotz der harten Zeiten. Er entschuldigt sich, dass er nicht schon früher da war. Sein Flieger habe wegen des Wetters nicht starten können. Dann sagt er: „Aber jetzt bin ich ja auf sicherem Boden – in Nordrhein-Westfalen.“