: Für seins nur das Beste
SCHULPLATZKLAGEN Der Kampf um die Annahme der eigenen Kinder an bestimmte Grundschulen hat sich verschärft, und Rechtsstreite vor der Einschulung nehmen zu
VON OLE SCHULZ
Dass Bildung die soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist, davon haben heute schon manche Kleinkinder gehört, bevor sie überhaupt Lesen und Schreiben lernen. Der Einstieg ihrer Kinder in die bildungsgesteuerte Leistungsgesellschaft beginnt für viele Eltern mittlerweile bereits mit der Einschulung ihres Nachwuchses. Und weil für die vermeintlich guten Berliner Grundschulen ein Anmeldeüberhang besteht, steigt die Zahl rechtlicher Auseinandersetzungen.
Im vergangenen Jahr reichten Eltern zum Beispiel Klage gegen den neuen Zuschnitt der Einzugsbereiche für Grundschulen im Bezirk Mitte ein. Hintergrund ist, dass jede Grundschule einen eigenen Einzugsbereich erhält, innerhalb dessen alle schulpflichtigen Kinder einen Anspruch auf einen Schulplatz haben. Der Bezirk Mitte traf eine eigene Regelung: einen „gemeinsamen Einzugsbereich“ für mehrere Schulen, um den Eltern mehr Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der pädagogischen Schwerpunktsetzung zu erlauben.
Dabei dürfte allerdings auch eine Rolle gespielt haben, dass die Schulverwaltung nicht auf den Babyboom in Berlins Mitte vorbereitet war. Waren Anfang des Jahrzehnts im Bezirk noch Schulen geschlossen worden, so reichen nun die verbliebenen bei weitem nicht mehr aus. Durch die Änderung der Einzugsbereiche konnte es passieren, dass man in der schick sanierten Rosenthaler Vorstadt lebt, aber einer Grundschule auf der anderen Seite der Bernauer Straße im Wedding zugeteilt wurde.
Das Verwaltungsgericht gab im Vorjahr schließlich der Elternklage statt und entschied, dass Abc-Schützen die nächstgelegene Einrichtung und damit der kürzeste Schulweg angeboten werden müsse. Das soll sich allerdings bald generell ändern: Eltern sollen ab dem Schuljahr 2010/11 zwischen mehreren Grundschulen in der Nähe ihrer Wohnung wählen können – auch um damit die wachsende Zahl von „Scheinanmeldungen“ im Einzugsbereich der Wunschschule zu verringern. Die Bildungsverwaltung plant, dies in der nächsten Änderung des Schulgesetzes festzuschreiben.
Doch das wird wohl auch nicht verhindern, dass bestimmte Grundschulen mehr Anmeldungen als Plätze haben. Wird das eigene Kind an der Wunschschule abgelehnt, muss man Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen, sagt Anwältin Simone Pietsch, Spezialistin für Bildungsrecht. Dabei muss man laut der 44-Jährigen Formfehler bei der Aufnahme anderer Kinder nachweisen. Nur bei einem Viertel der von ihr betreuten Fälle käme es hingegen zu einer Gerichtsverhandlung.
Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht hätte dann gute Aussicht, „wenn die jeweilige Schule ihre Kapazitäten tatsächlich nicht ausschöpft oder die rechtlichen Regelungen zum Auswahlverfahren nicht beachtet und zum Beispiel einzelne Schüler ungerechtfertigt benachteiligt“.
Viele Eltern könnten sich aber all den Ärger ersparen, wenn sie bereits bei der Schulanmeldung „die Unterlagen sorgfältig“ studieren und wohlüberlegt ausfüllen würden. Als Geschwisterkind, bei einer bestehenden „gewachsenen Bindung“ oder im Falle, dass die Wunschschule eine „Betreuungserleichterung“ gewährleiste, hätte man gute Chancen auf einen der begehrten Schulplätze. Für den Nachweis einer „gewachsenen Bindung“ reiche allerdings das Argument nicht aus, die beste Freundin der eigenen Tochter gehe auch auf die Schule. Vielmehr müsse man glaubhaft aufzeigen, dass man zum Beispiel aufgrund der beruflichen Situation auf die nachmittägliche Betreuung durch die Mutter der Freundin angewiesen sei.
Ein Sonderfall sind die mittlerweile äußerst beliebten Europaschulen, hier sei der „Kampf richtig hart“, so Pietsch. Weil für diese bilingualen Grundschulen eine vorgezogene Anmeldefrist gelte, seien die Kinder zum Teil erst vier oder fünf Jahre alt, wenn sie einen Aufnahmetest in der Muttersprache machen müssen. Bewerber mit deutscher Muttersprache müssen dabei überzeugende Nachweise liefern, aus welchen Gründen ihr Kind unbedingt einen Platz an der jeweiligen Europaschule benötige.
Im Falle einer „Scheinanmeldung“ im Einzugsbereich der Wunschschule ist mittlerweile Vorsicht geboten. Die Schulbehörden überprüfen häufiger Anmeldungen, die ihnen verdächtig erscheinen. Und dann müsse man schon „die Hosen runterlassen“, sagt Anwältin Pietsch. Regelmäßig würden Strom- und Gasrechnungen oder die Mietverträge überprüft. Pietsch warnt deshalb vor einem solchen Vorgehen, der den Tatbestand des Betruges erfülle.
Zumal das, was individuell verständlich sein mag, gesamtgesellschaftlich fragwürdig sein kann. Im Falle Kreuzbergs ist das offensichtlich: Dass die Integration gerade im Multikulti-Bezirk Berlins nicht funktioniert, ist mindestens traurig. Die Bezirke schieben jedoch dem Senat den schwarzen Peter zu: Der sei schließlich für die Einstellung von Lehrkräften oder die Umsetzung neuer pädagogischer Konzepte zuständig.
Das Land Berlin setzt seine Prioritäten zurzeit woanders: Um die Reform der Sekundarschulen zu finanzieren, hat man die Quotenregelung ersatzlos gestrichen, die Schulen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern aus armen oder Migrantenfamilien mehr Lehrkräfte zubilligte. Gab es vorher Klassen mit nur 20 Schülern, so wurde ihre Untergrenze nun auf 24 hochgestuft.
Doch Anwältin Pietsch macht Eltern, die vor der Einschulung ihres Kindes stehen, trotzdem Mut: Wer sich rechtzeitig informiere, habe beispielsweise eine große Auswahl an Reformschulen, die sowohl jahrgangsübergreifend als mit offenen Unterrichtskonzepten arbeiteten. Diese liegen aber selten in unmittelbarer Wohnnähe. Dafür sind hier aber auch ein Drittel der Schulplätze für Kinder reserviert, die nicht im Einzugsbereich leben.