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Archiv-Artikel

Eine Garderobe zum Anbeißen

Dass Mode nicht immer tragbar ist, zeigt das Rheinische Industriemuseum in Bergisch Gladbach. Auf der Suche nach geeigneten Stoffen muss für die Designer Material aus der Mülltonne herhalten

VON CLAUDIA LEHNEN

Hinter dem glatt gestrichenen Silberpapier wohnt das schlechte Gewissen. Es nistet sich dort immer dann ein, wenn die Schokolade dahinter gerade in unsere Bäuche umgezogen ist. Und in irgendwelchen Bäuchen müssen die zahllosen Osterhasen schon verschwunden sein, schließlich lächeln vom schlanken Frauentorso nur mehr die plattgedrückten Hasengesichter der Verpackung. Sabine Naumann-Cleve ist eine der Künstlerinnen und Künstler, die im Rheinischen Industriemuseum in Bergisch Gladbach ein Kleidungsstück aus Verpackungsmaterial zum Ausstellungsmotto „Schachtel, Tüte, Abendkleid“ präsentieren.

Den Kontrast zwischen der Lust am Essen und den gesellschaftlichen Anforderungen an die Figur einer Frau möchte die Künstlerin aus Baden-Württemberg in ihrem Modell „verpuppt, geschlüpft und fortgeflogen 4“ darstellen. Fünf lilafarbene Schmunzelhasen hat die 49 Jahre alte ehemalige Krankenschwester allein für das Rückenteil entkleidet. Auf den Hüften haben sich „Löffel-Eier“ breit gemacht, einige Umhüllungen von Weihnachtstalern spielen Lückenfüller am Dekolletee. „Das Modell beschäftigt sich mit der Frage, wie Frauen zu sein haben. Einerseits propagiert die Werbung, dass die Lust auf Süßes durchaus erotisch sein kann, andererseits müssen Frauen trotzdem schlank bleiben“, erläutert Naumann-Cleve ihr nicht tragbares Kleidungsstück.

In einer früheren Ausstellung habe das Modell „Synthetic Thrill“ nicht auf einer Puppe, sondern einer jungen Dame gehangen, sagt Künstlerin Lore Klar. Ein bemitleidenswertes Geschöpf, schließlich bekomme man unter Wickelrock und Shirt aus Plastiktüten und Bonbonverpackungen „unerträgliche Schweißausbrüche“, wie die pensionierte Lehrerin zugibt. Dass die Modelle der sechs Designerinnen und Designer nicht auf der Stange eines Bekleidungsgeschäfts hängen könnten, vertreibt sie nach Ansicht von Museumsleiterin Sabine Schachtner aber nicht aus dem Begriffsfeld Mode. „Auch die Kollektionen berühmter Designer sind nicht für den Alltag entworfen. Auch hier bewegen sich die Stücke zwischen Gebrauchsgegenstand und Kunst“, sagt sie.

Zumindest die Vergangenheit der zwölf Kleidungsstücke liegt in Gegenständen, die alltäglich sind. Umhüllung waren sie schon, bevor sie als Kunstwerk in ein Museum gelangt sind. Damals wickelten sie allerdings nicht Modepuppen, sondern Lebensmittel und Non-food-Artikel ein. So beherbergte der Stoff aus dem Stephan Hanns Minikleid „Milchmädchen“ gemacht wurde, früher Frischmilch. Aus Marianne Kappensteins Barockkleid „Feine Milde“ duftete es einst nach Bohnenkaffee, aus dem Netzshirt des Modells „Zum Anbeißen“ kullerten ehemals die Apfelsinen.

Sein Hauptanliegen sei nicht gerade, das Thema Recycling zu propagieren, sagt Stephan Hann. Trotzdem sei ihm daran gelegen, aus der aufwändigen Verpackung noch einmal etwas Schönes zu machen, statt sie auf den Müll zu werfen. „Verpackung muss ja schillern und glitzern, denn sie ist wichtig, um den Kunden zum Kaufen zu bewegen“, sagt Hann. In seinen Kunstwerken sträuben sich die Pillenpackungen, Joghurtbecher, Obstsäckchen und Einkaufstüten noch einmal gegen ihre Entsorgung auf den Müllbergen. Auch wenn Recycling ja eigentlich bedeute, dass ein Material wieder in die Verwertungskette der Gebrauchsgegenstände eingeführt werde, wie Künstlerin Lore Klar definiert. Und Gebrauchsgegenstände, nein, das sind die Objekte ihrer Ansicht nach nun wirklich nicht.

„Schachtel, Tüte, Abendkleid“, Rheinisches Industriemuseum Bergisch Gladbach, bis einschließlich 26. Juli, Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Papiermühle Alte Dombach, Tel.: 022 02/93 66 80