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Archiv-Artikel

Krake unter Seefalken

Eine Karriere voller Zufälle: Der 24-jährige Christian Mohr, Defensive End bei Berlin Thunder, soll als erster Deutscher in der National Football League nach dem Ei greifen – bei den Seattle Seahawks als „Germanator“ auf quicker Quarterback-Jagd

VON BERND MÜLLENDER

Kann es ernsthafte Zweifel geben, dass die US-Fans diese Type lieben werden? Six feet six groß ist er, also fast zwei Meter, Schuhgröße 48, Gewicht 115 Kilo, Unterarme stärker als anderer Leute Waden, klare blaue Augen, strohblonde Haare. Christian Mohr aus Aachen könnte auch einen Vorzeige-Ledernacken in der US Army abgeben.

Mohr, 24 Jahre alt, hat einen Vertrag bei den Seattle Seahawks bekommen in der National Football League, der wichtigsten Liga im US-Sport. „Und ich denke“, sagt er mit freundlichem Selbstbewusstsein, „dass ich auch spielen werde.“ Das wäre eine Premiere. Vor Mohr hat es noch kein Deutscher auf einen Platz der NFL geschafft. Im September geht die US-Saison los. Die Fans in Seattle nennen den Defensive End Christian Mohr schon „Germanator“ und „Iwan Drago“. So hieß der böse Gegenspieler von Silvester Stallone im Boxepos „Rocky IV“.

Mohrs Geschichte ist die vom Tellerwäscher ohne Teller und ohne nähere Ambition zum Abwasch. Football kannte er nicht, bevor er 1996 als 16-jähriger Austauschschüler nach Columbus/Ohio ging. Da hat er das Ei mal angepackt und fand den Sport „naja, ganz gut“, wie er heute sagt. Wieder daheim, gab es „nur die Aachen Demons, 5. Liga, Training nur, wenn wer Lust hatte, mehr wie Kneipenfußball“. Immerhin: Mohr ging spaßeshalber mal hin, machte ein Dutzend Spiele mit und begann ansonsten sein Studium an der Sporthochschule Köln.

2001 begann „diese ganze komische Geschichte“. Die Düsseldorf Panthers luden den jungen Mann zum Training ein. Mohr spielte. 2003 Einladung zum Leistungstest der NFL Europe in Frankfurt. Er griff den gegnerischen Angreifern quick in die Beine, landete 2004 bei Berlin Thunder, gewann dort die World Bowl und wurde zum besten Liga-Verteidiger gekürt. Die Einladung nach Tampa Bay/Florida kam für ihn dennoch „völlig überraschend“. 80 Nicht-Amerikaner durften sich für eine Woche zeigen, acht von ihnen kamen danach „zum Erfahrungsammeln in die NFL“. Mohr wurde den Seattle Seahawks zugedraftet, die seine „fantastischen Fortschritte“ goutierten und den Practise-Gast in Testspielen im Spätsommer 2004 sogar einsetzten – zum Beispiel „vor 70.000 Leuten bei den berühmten Green Bay Packers, das war unglaublich. Und das Beste: Wir haben gewonnen.“

Von den 80 Talenten bekam neben einem Muskelmann aus Mexiko nur dieser Kerl aus Aachen einen NFL-Vertrag. „Es ist irre. Ich habe nichts geplant, jeder Schritt ist einfach passiert. Und jetzt bin ich NFL-Profi!“ Er nennt sein „Mindestgehalt für Neulinge“, will es aber nicht veröffentlicht sehen. Sagen wir, darüber wäre mancher Zweitligaspieler im deutschen Fußball froh. „Aber“, sagt Mohr, „es ist riskanter als hier. Der Vertrag läuft zwei Jahre, kann aber jede Woche gekündigt werden.“ Hire and fire auch im Sport. „Ich bin also gut bezahlter Zeitarbeiter.“ Im zweiten Jahr gibt es dann automatisch ein Drittel mehr.

Warum ist Mohr so gut? Zufall, Veranlagung? Eine Episode als 5-Jähriger fällt ihm ein, die er grinsend als Omen besonderer körperlicher Konstitution auffasst: „Da bin ich vom Auto angefahren worden. Ein Reifen stand auf meinem Fuß, der Fahrer war in Panik, fuhr vor und zurück und kam nicht runter. Im Krankenhaus haben die Ärzte ständig meinen Fuß untersucht und geröntgt. Aber da war nichts weiter. Ich hatte nur den Arm gebrochen.“ Als Kind sei er „wohl ziemlich jähzornig, laut und ungezogen gewesen“, kurz gesagt: „Einer, der immer bockig mit dem Kopf durch die Wand wollte“. Was hilfreich scheint im Football-Getümmel. „Sport ist ein gutes Ventil, Football besonders. Ich habe aber auch viele liebe Seiten“, ist er überzeugt.

Mohr schwärmt vom „großen Teamgeist in dieser Kontaktsportart“: Was er als Quarterback-Blockwart nicht schaffe, „kriegen meine Mitspieler Sekunden später auf die Mütze“. Also muss er verantwortungsvoll ran, volle Pulle: „Eins gegen eins gegen so dicke Jungs“, sagt er und lässt seine endlos langen Arme weit ausgebreitet kreisen, „wie das klatscht, wenn man jemanden punktgenau erwischt, das fühlt sich so was von toll an. Dieser kurze Moment.“ Er selbst hat größeren Schaden noch nicht genommen – weder bei Berlin Thunder (wo er ab 2. April wieder die Europasaison spielt) noch 2004 als Hilfs-Krake bei den Seefalken in Seattle: „Mal eine Knochenabsplitterung im Fuß, mal eine Kapselverletzung an den Fingern, mal ein Nerv gequetscht“; kurz: „nur Wehwehchen“.

Doch auch gesund hat das Footballer-Leben Schattenseiten. Mohr sagt, er sei „ja eigentlich der schmale, leichte Typ“ und habe tragischerweise „einen schnellen Stoffwechsel“. Das hat nervige Folgen, wenn man „noch mehr Gewicht machen muss“, um das sportliche NFL-Gardemaß von 120 Kilo für einen Defensive End zu schaffen. Also muss gefuttert werden, was reinpasst: „Schon morgens Riesenberge Eier, dann Speck, Würste, Fleisch. Dreimal am Tag warm, mindestens.“ Es funktioniert zwar – vor einem Jahr hatte Mohr nur 107 Kilo. „Aber ich bin diese dauernden Steaks dermaßen leid.“ Unerlaubtes würde er nie einwerfen, sagt er: „Ich ruiniere mir nicht die Gesundheit.“ Mohrs Kernsatz: „Ich gebe alles, aber ich nehme nicht alles.“

Vater Jürgen, WDR-Redakteur in Köln, sieht seinen Sohn schon „als Dirk Nowitzki des Football, völlig verrückt alles“. Darüber lacht Sohn Christian, auch wenn er dem Basketballstar sogar ein wenig ähnlich sieht, seit der kahl rasiert korbt. „Nowitzki war schon ein Star, als er 24 war. Das kann man nicht vergleichen. Ich warte mal ganz gelassen ab.“ Und erzählt lieber von Balancegefühl, von Reaktionszeiten und offensiven Strategien. „Ich muss ja manchmal mit meinen schmalen 115 Kilo so richtige Brocken tackeln, bis 172 Kilo. Dabei“, sagt Christian Mohr, „denkst du nur für den Moment und machst keine großartigen Zukunftspläne.“ Bei den Seahawks setzen sie schon auf ihren Import: „One Mohr“ steht auf der Website.