„Was ist aus mir geworden?“

Bei Jennifer Lopez (36) gibt’s fast alles: Musik und Filme, Mode und Kosmetik – und sogar ein Restaurant für den Hunger nach dem Shopping. Interview mit einem Warenhaus auf zwei Beinen

INTERVIEW MICHAEL TSCHERNEK

taz: Frau Lopez, vor zwei Jahren haben Sie sich mit der Songzeile „I’m still Jenny from the block“ als das ewige Mädchen von nebenan beschrieben. Wie sehen Sie sich heute?

Jennifer Lopez: Das letzte Jahr war ein Jahr der Veränderungen für mich. Heute bin ich froh, dass ich all diese Dinge überstanden habe – und immer noch dieselbe Person geblieben bin.

Aber das ist doch nur eine Idealvorstellung.

Nein, ich denke, dass das der Wahrheit entspricht. Viele Dinge haben sich in meinem Leben verändert, aber ich bin immer noch dieselbe Person. Dieses Gefühl habe ich auch heute noch, obwohl inzwischen zwei weitere Jahre vergangen sind.

Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen in ihrem Geschäft verändern.

Natürlich, manche Menschen verändern sich dramatisch in diesem Geschäft. Davor hatte ich immer Angst.

Haben Sie mit Ihrer Musikkarriere, den Filmen und Ihren vielen anderen Projekten noch genug Zeit, um über so etwas nachzudenken?

Ich habe mir das erste Halbjahr 2004 freigenommen, um nichts anderes zu tun als nachzudenken. Ich war unten im meinem Haus in Miami, habe die Sonne genossen und habe nur nachgedacht: Was ist mein Leben? Was bedeutet es? Was ist aus mir geworden? Was will ich machen? Das war im Grunde das erste Mal in meinem Leben, dass ich so etwas gemacht habe. Dabei habe ich mein Arbeitsleben bereits vor vielen Jahren begonnen.

Hatten Sie das Bedürfnis, Ihr Image umzukrempeln? Sie haben ja früher viele Schlagzeilen mit Ihren Affären gemacht.

Nein. Ich will lediglich erreichen, dass sich das öffentliche Interesse nicht mehr auf mein Privatleben, sondern auf meine Arbeit richtet. Die Leute sollen sich meine Songs anhören und sich ruhig fragen, was der ein oder andere Song bedeutet. Da bekommen sie eher ein Gespür dafür, wer ich bin, als wenn sie auf das achten, was irgendeine Boulevardzeitung über mich schreibt.

Lassen Sie sich bei Ihren Entscheidungen eher von der Vernunft leiten oder vom Gefühl?

Ja, ich bin ein rationaler Mensch. Ich treffe durchaus Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Aber ich habe auch eine praktische Seite, die als Gegengewicht dazu funktioniert. Es gibt Künstler mit einem großen K – Leute, die in dieser Beziehung durch und durch Künstler sind: Sie sind kompromisslos, sie machen einfach das, was sie wollen (lacht). Das finde ich bewundernswert, und ich beneide sie, aber das entspricht einfach nicht meiner Persönlichkeit. Ich bin eher eine Künstlerin mit einem kleinen k: Bei mir verbindet sich die künstlerische Seite mit einem gewissen Geschäftssinn.

Was ist der Unterschied?

Manche Künstler brechen an einem bestimmten Punkt einfach ab, verschwinden inmitten einer Session: „Ich kann jetzt einfach nicht mehr.“ So etwas würde ich niemals machen. Selbst wenn ich wenig inspiriert bin, habe ich das Gefühl: Ich habe einen Job zu erledigen, und deshalb ist Anwesenheit Pflicht.

Sie sind nicht nur Sängerin und Schauspielerin, sondern haben auch eine Modelinie, es gibt Parfüms, die unter Ihrem Namen verkauft werden, Sie betreiben sogar ein Restaurant. Droht da nicht die Gefahr, sich zu verzetteln?

Auf außen Stehende wirken alle diese Projekte möglicherweise sehr unterschiedlich. In meinen Augen geht es jedoch immer um dasselbe: um Kreativität. Ich finde es sehr aufregend, aus dem Nichts etwas Neues auf die Beine zu stellen. Das gilt auch für das Restaurant: Die Innenausstattung und die Dekoration zu entwerfen, das hat ebenfalls etwas Künstlerisches an sich.

Sie sind für die Innenarchitektur Ihres Restaurants verantwortlich?

Ja, ich liebe Innenarchitektur. Ich kaufe zwar viele Modemagazine, aber ich kaufe mir noch mehr Magazine, die sich mit Innenarchitektur beschäftigen. Der Gedanke bei dem Restaurant war ursprünglich, eine Beschäftigung für meinen Vater zu finden, der sich im Ruhestand befindet. Es sollte etwas sein, in das er seine Energie stecken kann. Meine Eltern haben sich vor ein paar Jahren getrennt, und mein Vater ist von New York weggezogen und lebt jetzt in Pasadena. So hat es angefangen mit dem Restaurant, aber dann hat es sich auch für mich zu einem sehr kreativen Projekt entwickelt.

Müssen Sie als Geschäftsfrau nicht tough sein?

Ich denke, dass dich die Leute respektieren, wenn du einen gewissen Erfolg hast. Was du sagst, wird durchaus ernst genommen. Bei einer Frau wird das natürlich gern dahin gehend ausgelegt: „Die ist tough!“ Das ist ähnlich wie mit dem Wort „ehrgeizig“. Wenn ein Typ ehrgeizig ist, dann ist das eine tolle Sache, aber wenn eine Frau ehrgeizig ist, dann ist das ganz schrecklich. Da muss man sich natürlich fragen, warum das für eine Frau schlecht sein sollte, wenn sie ehrgeizig ist.

Stellt das für Sie als Latina ein besonderes Problem dar?

Oh ja, das können Sie mir glauben in dieser ausgesprochenen Macho-Latino-Gesellschaft. Dabei bildet in Latino-Familien meist die Mutter das Zentrum der Familie, das ist fast wie ein Matriarchat. Ist das nicht komisch?

Wie passt das zusammen?

Der Mann mag ein Macho sein, er ist zweifellos der König der Burg, und die Frau kümmert sich um ihn: In Bezug auf diese Werte geht es in vielen Latino-Familien noch sehr traditionell zu. Dennoch ist die Mutter das Zentrum, der Kopf der Familie. So war es insbesondere in meiner Familie, aber auch bei befreundeten Familien. In der Latino-Gesellschaft wird die Mutter verehrt, sie steht im Mittelpunkt von allem. Aber sie nimmt sich auch zurück und lässt dem Mann den Vortritt. Sie ist einfach diejenige, die Halt gibt und die ganze Familie zusammenhält.

Sind Sie zu Hause mit Latin-Musik aufgewachsen?

Ja, das war die Musik, die die Erwachsenen gespielt haben, zum Beispiel an den Feiertagen: Salsa, Merengue und andere Latin-Musik. Aber wir waren jung und wollten natürlich lieber die Musik hören, die damals hip war. Wenn du jung bist, gefällt dir diese Musik nicht. Aber wenn du dann irgendwann dein Zuhause verlässt, musst du feststellen, dass du gerade diese Musik hören willst.

Weil sie eine Verbindung zu Ihrem Zuhause darstellt?

Genau. Wenn du zu Hause bist, dann willst du auch nicht das haben, was deine Mutter tagtäglich kocht. Aber wenn du unterwegs bist, in Hotels übernachten oder deine Mahlzeiten selbst zubereiten musst, dann willst du einfach alles, was dich an dein Zuhause erinnert. Aus demselben Grunde habe ich meine große Wertschätzung spanischer Musik erst entwickelt, als ich von zu Hause weggezogen bin. Jetzt ist spanische Musik meine Lieblingsmusik.

Marc Anthony, Ihr Mann, veröffentlicht ja schon seit Jahren sowohl spanische als auch englische Alben. Er kritisiert den Begriff „Latin Pop“, der vor ein paar Jahren für Künstler wie Sie oder Ricky Martin geprägt wurde. Wie stehen Sie dazu?

Diese ganze Sache mit der „Latin Explosion“ war auch für mich merkwürdig. Zu dieser Zeit gab es drei oder vier Künstler mit spanischen Wurzeln, die zur selben Zeit Alben mit englischen Songs auf den Markt gebracht haben (lacht). Ich bin in New York geboren, und es war merkwürdig, uns als Crossover-Künstler zu verkaufen, denn das waren wir nicht: Das war eher so ein Marketingtrick. Ich spreche nahezu ohne Akzent, aber ich denke beispielsweise nicht auf Spanisch.

Bedauern Sie, dass Sie sich damit von Ihrer Herkunft entfernt haben?

Nein, denn meine Eltern sprechen ebenfalls perfekt Englisch. Meine Mutter kam im Alter von zwei Jahren nach Amerika und mein Vater im Alter von sechs Jahren. Sie sind also auch beide in New York aufgewachsen. Das alles war früher keine große Sache für mich. Jedenfalls nicht, bis ich den Film „Selena“ gedreht habe. Damals musste ich auch spanischen Medien Interviews geben, und da habe ich es bedauert, dass ich nicht besser Spanisch kann (lacht).

Ihr Mann, Marc Anthony, ist ebenfalls in New York aufgewachsen, hat sich aber der Latin-Musik zugewandt. Demnächst soll er in einem Film die Rolle des Hector Lavoe spielen, eines der größten Salseros des vergangenen Jahrhunderts.

Ja, der Film heißt auch „Hector Lavoe“, und ich produziere ihn. Dahinter steht meine Produktionsgesellschaft. Seit drei Jahren plane ich dieses Projekt, und Marc war von Anfang an dabei. In meinen Augen ist er der einzige Mensch, der diese Rolle spielen kann.

Sie selbst sind demnächst auch in einigen neuen Filmen zu sehen. Hoffen Sie, einmal die erste Latina zu werden, die einen Oscar bekommt?

Ich würde nicht die erste sein: Rita Moreno hat bereits einen Oscar für „West Side Story“ erhalten – das weiß ich genau, denn es ist mein Lieblingsfilm. Es war aber der Oscar für die beste weibliche Nebenrolle. Vielleicht kann ich ja den für Hauptrolle bekommen (lacht).