: „Profit ist nicht das Wichtigste“
ETHIK Wirtschaftsexperte Ulrich Thielemann fordert, dass Unternehmen wie Vattenfall sich das Vertrauen der Bevölkerung nicht erschleichen, sondern es sich verdienen
■ 48, ist stellvertretender Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen in der Schweiz und Associate Professor der Fernuniversität Educatis.
INTERVIEW HANNES KOCH
taz: Her Thielemann, der Stromkonzern Vattenfall bedauert, durch die Unfälle im AKW Krümmel die Zustimmung der Öffentlichkeit verloren zu haben. Warum ist Vertrauen für Unternehmen so wichtig?
Ulrich Thielemann: Vertrauen bedeutet hier eigentlich Akzeptanz und Unterstützung durch Anspruchsgruppen der Gesellschaft, die für die Gewinnerzielung wichtig sind. Wenn Vertrauen fehlt, drohen Demonstrationen, Klagen vor Gericht oder eine restriktivere Politik. Und dies schmälert den Gewinn.
Wie verliert eine Firma das Vertrauen der Bevölkerung?
Indem es sich einigermaßen grober Verfehlungen schuldig macht, die für jeden leicht erkennbar sind. Bei komplexeren Vergehen kommt man also leichter durch. Verantwortungsvolle Unternehmen fragen allerdings nicht danach, wie sie das Vertrauen zurückerobern können. Sie fragen danach, worin eine ethisch verantwortungsvolle Geschäftspolitik im Einzelnen besteht, und handeln natürlich entsprechend. Das verdiente Vertrauen kommt dann von allein.
In den Atomkraftwerken von Vattenfall muss man immer damit rechnen, dass irgendetwas danebengeht. Verhält sich der Konzern verantwortungslos?
Mir fehlen die Informationen, um das im Einzelfall zu beurteilen. Klar ist allerdings: Sollte die Gewinnmaximierung an oberster Stelle der Unternehmenspolitik stehen, würde die Firma die Sicherheit von der Rentabilität abhängig machen. Die Rentabilität darf aber nicht das wichtigste Ziel eines Unternehmens sein.
Der Gewinn ist doch das vornehmliche Firmeninteresse.
Nein, das ist ein verbreiteter und gefährlicher Irrtum. Im Gegenteil sagt das deutsche Aktienrecht sinngemäß, dass das Management große Spielräume genießt, um eben nicht alleine auf die Rentabilität schauen zu müssen. Der Gewinn ist nur eines von mehreren Zielen. Im Übrigen kann man auch gute Gewinne erzielen, ohne alles daran zu setzen, dass die Gewinne so hoch wie möglich sind.
Klingt altmodisch …
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in der Tat eine Art des Wirtschaftens in den Vordergrund geschoben, die den Gewinn absolut setzt, ihn maximiert. Es gibt da eine neue ökonomistische Radikalität im Management, die mit den betriebswirtschaftlichen Lehrbuchweisheiten Ernst macht. Demgegenüber muss man hart sagen: Wer die Interessen der Aktionäre vorzieht, verletzt zumindest im Geiste deutsches Recht.
Der Europa-Chef von Vattenfall will neues Vertrauen erwerben. Was sollte er tun?
Grundvoraussetzung ist, dass die Unternehmen dem Prinzip der Gewinnmaximierung abschwören. Keinem Konzern kann es gelingen, beide Ziele gleichzeitig zu erreichen: höchsten Gewinn und Berücksichtigung der legitimen Interessen der Bevölkerung. Manager, die behaupten, das würde funktionieren, sagen die Unwahrheit. Immer mehr Bürger merken intuitiv, dass hinter den schön klingenden Stellungnahmen andere Motive stehen. Statt durch Spenden für Kultur und Sport von der eigentlichen Geschäftstätigkeit abzulenken und sich so seine Reputation zu erschleichen, würde es die Redlichkeit eigentlich verlangen, sich etwa mit den stärksten Kritikern auseinanderzusetzen. Vertrauen kann immer nur verdientes Vertrauen bedeuten. Und dieses verdient man sich durch wahrhaftige Integrität.
Warum spielen solche Fragen in der täglichen Praxis kaum eine Rolle?
Sie spielen durchaus eine Rolle, aber eine noch zu geringe. Wir stehen am Anfang einer neuen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Bürgern, bei der diese von jenen wahrhaftige Integrität einfordern. Doch wird an den meisten Universitäten noch immer vor allem gelehrt, wie sich der Gewinn für die Aktionäre steigern lässt. Die Botschaft lautet: Was sich rentiert, ist auch vernünftig.
Würden sich Investoren etwas anderes gefallen lassen?
Wahrscheinlich nicht. Deshalb brauchen wir eine neue Rahmenordnung der Wirtschaft. Die Unternehmensverfassung müsste pluralistisch ausgestaltet werden. In den Aufsichtsräten dürften nicht nur Vertreter des Kapitalseite und der Beschäftigten sitzen, sondern auch Umweltverbände, Bürgerrechtsgruppen und Verbraucherschützer. Das alles würde aber nur auf globaler Ebene funktionieren.