: „Kofi Annan will jedem etwas bieten“, sagt Professor Johannes Varwick aus Kiel
Viele Reformvorschläge des UN-Generalsekretärs sollten umgesetzt werden – sonst ist die UNO bald tot
taz: Herr Varwick, UN-Generalsekretär Kofi Annan will den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von 15 auf 24 Mitglieder erweitern. Von neuen Vetomächten spricht er nicht. Ist das Thema für Deutschland vom Tisch?
Johannes Varwick: Einen Vetositz kann sich die deutsche Außenpolitik abschminken. Davon ist übrigens auf UN-Ebene schon lange nicht mehr die Rede. Aber ein ständiger Sitz ist durchaus in erreichbare Nähe gerückt.
Wird es neben den fünf existierenden überhaupt neue Vetomächte geben?
Eher nicht. Sicher ist nur die Erweiterung. Das Problem ist, dass die Hürden für einen einmütigen Beschluss darüber so hoch wie eh und je sind. Deshalb kann niemand sagen, wie viele neue Mitglieder der Sicherheitsrat am Ende haben wird und wie das Gremium konstituiert sein wird.
Kofi Annan drängt darauf, das Thema Sicherheit durch Entwicklungspolitik in den Mittelpunkt der UN zu setzen. Ein richtiger Weg?
Der ist sogar sehr richtig. Aber auch nicht besonders neu. Über die Ziele gibt es seit Jahren keinen Streit mehr. Nur darüber, wie sie erreicht werden sollen. Und das sehe ich derzeit keine Chance für Fortschritte. Es wird jetzt sehr viel geredet werden und sehr wenig dabei herauskommen.
Aber alle wollen doch, dass 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts der reichen Länder für Entwicklungshilfe bereitstehen und die Halbierung der Armut bis 2015 erreicht wird. Kofi Annan stellt diese alte Forderung wieder ins Zentrum seiner Vorschläge auf. Warum?
Annan will in der Reformdebatte für jeden etwas bieten. Das Modell soll für alle zustimmungsfähig sein: für die Entwicklungsländer wie für die westlichen Industrienationen. Um etwa den USA entgegenzukommen, sollen sich die UN verstärkt mit Terrorismus auseinander setzen. Die Halbierung der Armut ist ein weiterer Baustein. Es bleibt ja richtig, dass kluge Sicherheitspolitik heute auf die Ursachen von Armut zielt. Aber der Erfolg dieser Strategie hängt von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten ab, da stärker mitzumachen, wovon leider wenig zu erkennen ist.
Annan will eine eigene Konvention für den Kampf gegen Terrorismus schaffen. Was halten Sie davon?
Gar nichts. Seit 20 Jahren wird versucht, zu definieren, was Terrorismus ist. Was dem einen sein Freiheitskämpfer, ist dem anderen ein Terrorist. Es wird nicht gelingen, dass sich 191 Staaten auf eine Position verständigen.
Die Kritik an der UN-Menschenrechtskommission hat Folgen. Jetzt soll ein UN-Menschenrechtsrat eingerichtet werden, aus dem Länder, die selbst gegen Menschenrechte verstoßen, ausgeschlossen werden. Wer will da mit Blick auf die USA Richter sein?
Es ist seit Jahren ein Kernkritikpunkt gerade der USA, dass viele Staaten Mitglied der Menschenrechtskommission sind, die massiv gegen die Menschenrechte verstoßen. Die USA zähle ich nicht dazu. Libyen etwa hatte vor einigen Jahren noch den Vorsitz der Menschenrechtkommission inne. Und das zu einer Zeit, da Libyen die Menschenrechte massiv missachtet hat. Die USA sagen, wenn die Vereinten Nationen noch eine Rolle spielen sollen, muss das aufhören. Staaten wie Libyen können nicht Wächter der Menschenrechte sein.
Kann das Annans Menschenrechtsrat verhindern?
Ohne diesen Vorschlag wären die Stimmen in den USA sicher lauter geworden, die so etwas wie eine Neugründung der Vereinten Nationen anstreben, in der nur demokratische Staaten dabei sind. Von den heute 191 Mitgliedern würde nur gut die Hälfte in Frage kommen. Um dieser Position der US-Neokonservativen entgegenzutreten, hat Annan diesen guten Vorschlag gemacht.
Wie bleiben die Bösen außen vor der Tür?
Indem die Ratsmitglieder mit einer Zweidrittelmehrheit von der UN-Vollversammlung gewählt werden. Dann ist die Chance relativ hoch, dass Staaten wie Iran oder Sudan nicht dabei sind. Ein kluger Gedanke Annans.
Ist es ebenso klug, dass die internationale Gemeinschaft kollektiv gegen Völkermord, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschreiten soll?
Das ist ein schwieriger Punkt. Im Grundsatz ist das ja heute schon möglich, wenn sich der Sicherheitsrat einig ist. Ich würde da jene vor zu viel Optimismus warnen, die die UN als Weltpolizei sehen wollen. Die Weltgemeinschaft wird auch in Zukunft nicht in allen Fällen eingreifen, wenn etwas Schlimmes passiert. Das wird immer von den Interessen der wichtigen Akteure abhängig sein. Und da spielt etwa der Völkermord in Ruanda eben eine untergeordnete Rolle, so traurig das ist. Daran werden auch Reformpapiere nichts ändern.
Ihr Urteil über Annans Reformideen scheint durchwachsen. Welche Gesamtnote würden sie dem Werk geben?
Es ist der Versuch, die UN im Spiel der internationalen Politik zu halten. Das wird nur funktionieren, wenn sie sich gründlich reformiert. Auch wenn nicht alle Einzelbausteine so umgesetzt werden, wie Annan das wünscht, kommt seine Reform dem Ziel näher. Es wird dennoch darauf ankommen, im September möglichst viele von Annans Vorschlägen zu beschließen. Das Signal muss sein, dass die Vereinten Nationen nicht tot sind, dass sie weiterhin eine wichtige Rolle in der internationalen Politik spielen müssen. In der Gesamtbewertung ist das ein guter Plan.
INTERVIEW: THORSTEN DENKLER