„Abtreibung hat keine starke Lobby“

FRAUENFEINDLICHE MEDIZIN Illegal abzutreiben ist in Polen leichter als legal in Südafrika. Letztlich ist die Haltung der Ärzte wichtiger als das Gesetz, sagt Sarah Diehl. Ihr Film „Abortion Democracy“ läuft heute im Babylon

INTERVIEW BIANCA SCHROEDER

taz: Frau Diehl, in Ihrem Film vergleichen Sie die Situation des Schwangerschaftsabbruchs in Polen und Südafrika. Wie ist Ihr Interesse an dem Thema entstanden?

Sarah Diehl: Ich habe 2004 eine Anthologie mit dem Titel „Brüste kriegen“ herausgegeben, in der Autorinnen über ihre Pubertät sprechen. Es geht darin auch um Abtreibung. Mir wurde klar, wie wenig die Erfahrung von Frauen damit in den Medien repräsentiert ist. Auch die Auswahl an Büchern zum Thema fand ich enttäuschend. Also habe ich mich entschlossen, selbst ein Buch herauszugeben, das Abtreibung in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen und in internationaler Perspektive behandelt.

„Deproduktion – Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext“ ist 2007 erschienen. Alarmierend war für mich die Statistik der WHO, dass weltweit alle sieben Minuten eine Frau an einer unsicheren, weil illegalen Abtreibung stirbt. Das ist deshalb besonders dramatisch, weil dies medizinisch so leicht zu verhindern wäre, aber die Politik sich dagegen stellt. Um auf diese Missstände hinzuweisen, habe ich den Film „Abortion Democracy: Poland/South Africa“ gedreht.

Darin stellen Sie die Situation in Polen, wo der Schwangerschaftsabbruch 1994 verboten wurde, der in Südafrika gegenüber, wo er 1996 legalisiert wurde. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus diesem Vergleich mitgenommen haben?

Interessant ist vor allem das Paradox, dass illegale Abtreibungen in Polen leichter zu bekommen sind als legale in Südafrika. Das macht deutlich, dass die Haltung des Gesundheitspersonals letztlich wichtiger ist als die Gesetzeslage. In Südafrika lehnen viele Ärzte und Schwestern Abtreibungen aus Gewissensgründen ab.

Dabei spielt die Rufschädigung unter den Kollegen eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie das individuelle Gewissen. In Polen hingegen bieten Ärzte illegale, aber fachgerechte Abtreibungen gegen ein hohes Honorar an.

Ist das südafrikanische Gesetz an der Realität gescheitert?

Teilweise ist es durchaus als Erfolg zu bewerten. So ist die Todesrate nach Abtreibungen, die vorher von Frauen häufig selbst durchgeführt wurden, um 90 Prozent zurückgegangen. Aber die medizinische Versorgung ist schlecht, und immer weniger Ärzte nehmen Abtreibungen vor. Das wird sich in nächster Zeit auch kaum ändern, denn das Thema Abtreibung hat derzeit keine starke Lobby. Viele der Frauenrechtlerinnen, die in den 90ern für die Legalisierung engagiert waren, widmen sich mittlerweile anderen, öffentlichkeitswirksameren Themen wie der HIV-Prävention.

Im Film interviewen Sie eine junge Südafrikanerin, die ungewollt schwanger geworden ist, deshalb von ihrer Familie aus dem Haus geworfen wurde und nun auf der Straße lebt. Sie hatte ihre Schwangerschaft zu spät entdeckt, um noch einen Abbruch vornehmen zu lassen. Wissen Sie, was aus ihr geworden ist?

Leider nicht, denn sie hat kein Telefon und keine E-Mail-Adresse. Ein Freund von mir hat sie letztes Jahr noch einmal zufällig gesehen, ohne Kind. Wir nehmen an, dass sie es zur Adoption freigegeben hat. Ich denke, bei ihr ist es so wie bei vielen Straßenkindern, die schon eine solche Autonomie entwickelt haben, dass sie mit Hilfsprojekten nichts zu tun haben wollen.

Das Thema Abtreibung hängt eng mit dem sexueller Aufklärung zusammen. Gibt es das in den polnischen und südafrikanischen Schulen?

In Südafrika gibt es viele Projekte an den Schulen, häufig initiiert von nichtstaatlichen Organisationen, die sich der HIV-Prävention widmen und auch Kondome verteilen. Das Thema Sexualität ist allerdings immer noch mit viel Scham besetzt und oft nicht Teil des regulären Unterrichts. In Polen findet an Schulen gar keine Aufklärung mehr statt, stattdessen gibt es Religionsunterricht. Außerdem ist seit dem Abtreibungsverbot die Angst vor einer ungeplanten Schwangerschaft so hoch, dass Frauen viel häufiger als nötig die Pille danach nehmen, was gesundheitlich bedenklich ist.

An welches Publikum richtet sich eigentlich Ihr Film?

Ich habe ihn bislang vor allem an Unis in Deutschland, Österreich, den USA, Kanada und Moskau vorgeführt. Die Zuschauer dort waren vor allem Studenten, künftig möchte ich aber auch verstärkt medizinisches Personal ansprechen. Ich würde gern dazu beitragen, dass Abtreibung in der Medizin kein Außenseiterthema mehr ist, sondern als normaler Bestandteil des Gesundheitsangebots gesehen wird. Bislang ist das in kaum einem Land der Fall. Auch in Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch kein regulärer Bestandteil der gynäkologischen Ausbildung.

Halten Sie die gesetzliche Lage zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland für zufrieden stellend?

Nein, denn nur eine komplette Entkriminalisierung kann der ganzen Heuchelei entgegenwirken. Es gibt hier eine große Diskrepanz zwischen der Moralität des Gesetzes und der Umsetzung. Viele wissen ja gar nicht, dass der Schwangerschaftsabbruch illegal und nur in bestimmten Fällen straffrei ist. Vor allem in ländlichen Gebieten stellt ein Abbruch ein logistisches Problem für die Frau dar. Beunruhigend finde ich, dass immer weniger Ärzte Abtreibungen anbieten. Außerdem gibt es nach US-amerikanischem Vorbild zunehmend Angriffe auf Kliniken.

Womit befasst sich Ihr nächstes Projekt?

Ich plane einen Film mit dem Titel „Pregnant Journeys“. Es geht um Frauen, die für eine legale und sichere Abtreibung in andere Länder reisen. Ich werde etwa Frauen aus Polen und Irland begleiten, die für eine Abtreibung nach England reisen oder von Botswana nach Südafrika. Die Illegalität, das wird dabei deutlich, führt nicht etwa dazu, dass Frauen ungewollte Kinder austragen. Die Folge ist nur, dass die Organisation des Eingriffs länger dauert und die Frauen deshalb häufiger schon im zweiten Trimester sind, wenn die Schmerzempfindlichkeit des Fötus beginnt und der Eingriff für die Frau gesundheitsschädlicher sein kann.

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