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Archiv-Artikel

Undercover unter Ponymädchen

Kirsten Reinhardt: Das schöne Leben als Gastrokritikerin – schade, dass es vorbei ist!

Nächsten Dienstag: „Es reicht.“ Natalie Tenberg über ihr schlimmes Leben als Gastro- und Gesellschaftskritikerin

KIRSTEN REINHARDT war seit 2007 Gastro- und Gesellschaftskritikerin der taz. Sie testete 14 Lokale.

Gerade hatte man sich am Prenzlauer Berg abgearbeitet und war endlich in einem anderen Bezirk angekommen, den es kulinarisch zu entdecken galt, da hieß es aus der taz-Redaktion: „Aus, vorbei.“ Das ist vor allem Pech für den Wedding, von dem es in unregelmäßigen Abständen heißt, „er käme“, Nun muss er doch noch auf seinen Ruhm warten. Aber vielleicht haben ja die jüngsten Gastrokritiken über das Simit und das Café „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ ein paar Neugierige in den Wedding und an den Leopoldplatz gelockt.

Die waren aber auch positiv! Was man nicht über alle meine Kritiken sagen kann. Was den Cafés und Restaurants des Prenzlauer Bergs und Mitte an dieser Stelle nicht alles an Gemeinheiten attestiert wurde: Das Café Niesen könne man ja gar nicht mehr betreten, angesichts all der nervtötenden Kleinkinder mit Rotznase; im Öko-24-Stunden-Laden Fresh ’n’ Friends werde der Öko-Hedonismus auf die Spitze getrieben mit der Ökostrom-Dauerbeleuchtung und im Edel-Frittenladen Fettnapf am Wasserturm würden Veganer verarscht, weil die Gemüsepommes in Rinderfett gebacken werden.

Es war schön, so böse sein zu dürfen. Bei einem frisch gebrühten Kaffee, einem Stück süßer Torte oder einem Teller mit leckerem Irgendwas den Blick schweifen zu lassen und mit hochgezogener Augenbraue die Gepflogenheiten der Anwesenden zu beobachten. Ein bisschen albern kam man sich bisweilen schon vor, mit gezücktem Bleistift vor der Kuchentheke die Preise zu studieren – aber was gibt es Besseres, als die Kombination von Essen und Schreiben? Vor allem, wenn man beides mit Leidenschaft tut.

Das Tolle war, dass es „Gastro- und Gesellschaftskritik“ hieß. So ging es nicht bloß ums Schlemmen, sondern ums Ganze. Man konnte kurzfristig als Undercover-Soziologin in einen Kosmos eintauchen, dem sich das Etablissement zugehörig fühlte. Man konnte Ponymädchen in Röhrenjeans und knarzige Tresensitzer beim Bier belauschen oder „den besten Mann von Kurdistan“ beobachten, wie er ein Schawarma-Brot zubereitete.

Es hat Spaß gemacht. Schade, dass es vorbei ist.