Warum Klagelieder wichtig sind

Zentrales Thema melancholischer Kunst, so der Hannoveraner Psychotherapie-Professor Hinderk M. Emrich in seinem Vortrag „Melancholia“, ist die Trennung, „die Trennung vom Vertrauten, vom Heimatlichen, von der Geborgenheit“. Am krassesten natürlich die Trennung im Tod: Hiobs Totenklage ist Gesang geworden und in etwa die erste Hälfte des Psalters konzentriert sich auf Klagepsalmen.

Wobei die Klage auch in anderen Kunstsparten eine bedeutende Stellung einnimmt: Rainer Maria Rilke beispielweise widmete seine Duineser Elegien der Klage und meint, dass sich beim Menschen „ein Stück geschliffenes Ur-Leid“ finden ließe. Den Grund dafür sieht Emrich in der „anthropologischen Verfasstheit“ des Menschen, die darin besteht, „gleichzeitig in der Endlichkeit und in der Unendlichkeit zu stehen.“

Der Mensch könne in seinem Geist „unendliche Räume und Zeiten durchdringen, aber im eigentlichen Sinne haben wir davon nur sehr kleine Ausschnitte räumlicher und zeitlicher Gegenwärtigkeit“, so Emrich. Was aber nutzt die Klage? Es geht darum, sich mit der Paradoxie von Unendlichkeit und Endlichkeit auseinander zu setzen und sie auszuhalten. Emrich nennt’s „Selbstprägung“.

Auch die Wurzeln des Blues liegen im Verlust der Heimat, außerdem entstanden Genres wie der Work- oder Prisonsong. Besondere Bedeutung gewinnen auch Songs über die Eisenbahn: Kontrastiertend zur Gefangenschaft der Schwarzen auf den Plantagen geht es um die befreiende Wirkung des Eisenbahnfahrens.

Bemerkenswert beim Blues: während die weltliche Blueskultur extreme Lebenssituationen mit Schwermut begleitet, behandeln die Gospel-Songs als geistiger Teil der Blueskultur das Göttliche auf lebensfrohe Art und Weise. Im Gegensatz zu den Formen volkstümlicher Religiösität in Europa ist Gott hier nicht unerreichbar, sondern ein guter Freund von nebenan. kli