WENN AFRIKAS SAHELZONE KRISELT, SPÜRT DAS AUCH EUROPA : Von Heuschrecken und Menschen
Manchmal folgen soziale Entwicklungen einfachen Gesetzmäßigkeiten. Vergangenes Jahr verwüsteten die größten Heuschreckenschwärme, die Afrika seit 15 Jahren gesehen hatte, weite Teile der Sahel-Region, vom Senegal bis in den Sudan. Ernten und Weideland wurden aufgefressen, viele Bauern und Hirten standen vor dem Nichts. Als die Heuschrecken weg waren, folgte eine Dürre, sodass auch die nächste Ernte ruiniert ist. Heute ist die Lebensmittelproduktion im Ländergürtel südlich der Sahara zu gering, und die Preise steigen. Um zu überleben, machen sich viele Landbewohner auf Wanderschaft. Zugleich breitet sich in den Städten Armut aus.
Am 15. März meldete der ärmste Sahelstaat Niger die größten Massenproteste seiner Geschichte, während auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa die bisher größte einzelne afrikanische Flüchtlingsanlandung registriert wurde. Zwischen diesen Nachrichten besteht ein Zusammenhang. Niger ist das wichtigste Transitland für die zehntausenden Afrikaner, die sich jährlich auf die Reise nach Europa machen. In diesem Jahr dürfte der Treck Rekorde brechen. Armutskrisen im Sahel sind heute auch in Europa zu spüren. Inzwischen weiten sich die Proteste in Niger aus. Die UNO warnt vor neuen Heuschreckenschwärmen im Sahel ab Juni, sollten im April die Brutstätten der Tiere im Maghreb nicht ausgeräuchert werden. Und Helfer rechnen mit neuen Fluchtbewegungen in Sudans Kriegsregion Darfur.
In der Nordhälfte Afrikas bahnt sich ein soziales Drama an. Europa ist daran unmittelbar beteiligt. Experten zufolge machen die Geldüberweisungen von Migranten – in Afrika und in Europa – in die Heimat inzwischen 40 Prozent der für Nahrungsmittel zur Verfügung stehenden Geldmittel der Haushalte in den von Hunger bedrohten Gegenden des Sahel aus. Migration ist also überlebenswichtig geworden. Italien hingegen schiebt seine Flüchtlinge neuerdings umgehend nach Libyen zurück. Wenn sich dieses Jahr politische Unruhe in Nordafrika ausbreiten sollte, wird Europa einen Teil der Verantwortung tragen. DOMINIC JOHNSON