IM LIBANON WERDEN BOMBEN WIEDER EIN MITTEL DER POLITIK : Risse im Block der Opposition
Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche explodierte in einem christlichen Viertel von Beirut eine Bombe. Das westliche Ausland, das nach der Ermordung von Expremier Hariri von den friedlichen anti- und prosyrischen Demonstrationen beeindruckt war, reagiert mit Sorge und Enttäuschung. Für die meisten Libanesen hingegen stellten die Anschläge keine Überraschung dar. Nach den Erfahrungen des langen Bürgerkriegs würde man sich wundern, wenn alle politische Konflikte friedlich ausgetragen würden. Denn auf der Seite der Regierung wie auf der der Opposition agieren ehemalige Militärchefs, die aus den Tagen des Bürgerkriegs noch Blut an den Händen haben.
Bei den beiden nächtlichen Anschlägen versuchten die Täter offensichtlich, eine große Zahl von Opfern zu vermeiden. Was aber, wenn eine vollbesetzte Kirche oder die anstehenden Osterprozessionen zu Zielen werden? Werden die Christen dann auf gewaltsame Racheakte gegen die mutmaßlichen Attentäter verzichten? Werden die islamischen Drusen friedlich bleiben, wenn es Walid Dschumblatt erwischt, ihren eigenen und den Anführer der Opposition insgesamt, der das Bombenlegen als „eine Technik alter Tage“ verworfen hat? Und was passiert, wenn jemand die Situation ausnutzt, um private alte Rechnungen aus dem Bürgerkrieg zu begleichen?
Viele Oppositionelle vermuten die Bombenleger unter Mitgliedern der libanesischen oder syrischen Geheimdienste, die die Menschen einschüchtern wollen. Bei den schiitischen Organisationen Amal und Hisbollah werden wie immer Israel und die USA verdächtigt. Die Lage im Libanon ist äußerst instabil. Denn auch der Einheitsblock der Opposition zeigt Risse. Einige wollen sich an der neuen Regierung beteiligen, für andere wie Dschumblatt kommt das nicht in Frage.
Bis zu den Parlamentswahlen im Mai wird das antisyrische Oppositionsbündnis noch halten. Aber dann geht es um die Neuverteilung der Macht. Rund 200 Clans und Familien bestimmen das politische und wirtschaftliche Leben des Libanon, und jede Partei wird nach größtmöglichen Vorteilen streben. Dann werden sich die Konflikte potenzieren. ALFRED HACKENSBERGER