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Archiv-Artikel

Der lange Weg zum Frieden

AUS COTABATO SVEN HANSEN

Es piept. Rigoberto Layson, den hier alle nur Father Bert nennen, sitzt im katholischen Pfarrhaus der Stadt Pikit und frühstückt. Der Priester schaut auf sein Handy, liest die SMS, die gerade hereingekommen ist und sagt: „Auf das Haus eines Muslimrebellen, der sich dem Militär ergeben hat, sind gestern Abend um zehn Uhr Granaten abgefeuert worden. Es gab sieben Verletzte.“ Als Täter würde eine Kidnappertruppe aus früheren Rebellen verdächtigt, die vom Militär angegriffen wurde und sich jetzt bei Verrätern rächen wolle.

Für Layson sind solche Nachrichten Alltag. Erfreulich ist für ihn, dass er heute Morgen zumindest keine Kurznachricht aus seinem Friedensnetzwerk über Kämpfe zwischen Militärs und den muslimischen Rebellengruppen MILF oder MNLF (siehe Kasten) bekommt. Pikit mit 67.000 Einwohnern liegt im Zentrum der Insel Mindanao, inmitten von Rebellengebieten der MILF und MNLF. Zwei Drittel der Bevölkerung sind hier Muslime, doch im gesamten Land machen sie nur eine Minderheit von fünf Prozent aus.

„Meine Gemeinde wurde 1913 gegründet, als die ersten christlichen Siedler aus dem Norden kamen“, erzählt Layson. Mindanao ist doppelt so groß wie Belgien und war über Jahrhunderte muslimisch. Die spanische Krone bekam die Region nie unter Kontrolle, genauso wenig die Amerikaner, die bei ihrer 1899 begonnenen Eroberung der überwiegend christlichen Philippinen im muslimischen Süden auf starken Widerstand stießen. Später kamen christliche Siedler sowie Konzerne, die Plantagen anlegten und sich immer mehr Land aneigneten. Als die Muslime in den 70er-Jahren aufbegehrten, waren sie auf Mindanao schon in der Minderheit.

Der schmächtige Layson sieht aus wie ein verträumter Student. Er gehört zum Orden „Oblates of Mary Immaculate“, doch vor allem organisiert er den gemeinsamen Widerstand von Christen und Muslimen gegen den Krieg. „Der Friedensprozess ist zu wichtig, um ihn allein der Regierung und MILF zu überlassen“, sagt er. Seit 2001 gibt es einen Waffenstillstand, der allerdings immer wieder gebrochen wird. Die Regierung verhandelt mit der MILF über ein Friedensabkommen.

„Bei den letzten großen Kämpfen 2003 hatten wir in Pikit 45.000 Flüchtlinge“, sagt der Priester. Mehrere hundert Muslime nahm er in seiner Kirche auf. „Meine Gemeinde war dagegen. Auch die Muslime hatten Vorbehalte, denn schließlich flohen sie vor dem christlich dominierten Militär und wollten nicht missioniert werden. Als sie uns sechs Monate später verließen, hatten sie Tränen in den Augen. Sie denken jetzt anders über Christen. Das wirkt sich auch auf ihre Familien und die Rebellen aus.“

Layson kam 1997 nach Pikit. Davor war er Pfarrer auf der Insel Jolo, bis der Bischof dort von Unbekannten erschossen wurde. Layson bat um Versetzung an einen friedlicheren Ort. Kurz nachdem er in Pikit ankam, brach der Krieg aus. Layson organisierte Dörfer für den Frieden und gründete mit Gleichgesinnten beider Religionen ein Netzwerk, das heute von Davao im Osten bis Jolo im Südwesten reicht.

Zwanzig Autominuten von Pikit entfernt liegt das muslimische Dorf Bagoinged. Es bildet den Zugang zur Liguasan Marsh, einem großen Sumpfgebiet, wo eine halbe Million Menschen leben. Die Region ist ein Rückzugsgebiet für muslimische Rebellen und Banditen, und – glaubt man der Regierung – auch für Terroristen von Abu Sayyaf und Jemaah Islamiyah (JI). Im Januar bombardierte die Luftwaffe hier mutmaßliche Terroristenverstecke.

Aus Bagoinged flohen die Bewohner zuletzt 2003. Damals griff das Militär trotz Waffenstillstands ein MILF-Lager in der Nachbarschaft an. In Bagoinged standen 420 Häuser, meist Palm- und Bambushütten. Etliche wurden zerstört, 65 sind inzwischen wieder aufgebaut, zu erkennen an den einheitlichen Betonfundamenten und Wellblechdächern. „Wir konnten damals fliehen, doch starben im Flüchtlingslager einige an Krankheiten“, berichtet der Bauer Minandang Mamolindas. Er trägt als Einziger hier einen Hut und wird wie viele andere während der Regenzeit zum Fischer. Als die Bewohner wieder zurückkehrten in ihr Dorf, umgeben von Reisfeldern und Kokosplantagen, beschlossen sie, den Waffenstillstand selbst zu schützen. Mit Hilfe von Layson wurden einige Bewohner zu zivilen Waffenstillstandsbeobachtern ausgebildet. 13 Männer und 5 Frauen aus drei Dörfern gehören jetzt zum Netzwerk von „Bantay Ceasefire“ (Waffenstillstandswache). Sie sind beim Militär und der MILF akkreditiert und tragen entsprechende Ausweise. „Wir beobachten beide Kriegsparteien und melden Verstöße gegen den Waffenstillstand. Kommen Rebellen oder Soldaten in unsere Nähe, fordern wir sie auf, das Gebiet zu verlassen. Tun sie das nicht, warnen wir die Bevölkerung“, berichtet Bauer Mamolindas. „Wir melden auch Menschenrechtsverletzungen und kümmern uns um Flüchtlinge.“

Die Waffenstillstandsbeobachter treffen sich regelmäßig in einer Hütte am Dorfplatz. Eine Mobilfunkfirma stiftete Handys, so dass die Bauern sofort Regierung, MILF und internationale Beobachter anrufen können. „Seit wir im Juni 2004 begannen, gab es hier keine Verletzung des Waffenstillstands mehr“, sagt Mamolindas. Die einzigen Zwischenfälle entpuppten sich als Unfälle oder eine Clanfehde.

Einige Kilometer weiter haben sich sieben Dörfer zu „Räumen des Friedens“ erklärt. Sie nennen es nicht „Friedenszonen“, weil sich entmilitarisierte Zonen nicht durchsetzen lassen. „Unser Gebiet ist für Rebellen und Militär von strategischer Bedeutung. Deshalb war es oft umkämpft“, sagt Dorfvorsteher Omar Ungi. 2002 sei die Bevölkerung vor Kämpfen geflohen und vier Monate nicht zurückgekehrt. „Wir reden jetzt auf die Konfliktparteien ein, wir sagen ihnen, dass es so nicht mehr weiter geht“, sagt der Mittfünfziger. Nach ersten Erfahrungen in einem Dorf sei das Konzept von den „Friedensräumen“ auf die sieben Dörfer erweitert worden. Es wird von den gewählte Dorfvorstehern, drei Christen und vier Muslimen, geleitet. „Wir erlauben bewaffneten Kräften, unser Gebiet zu betreten, bestehen aber darauf, sich durch Uniformen kenntlich zu machen. Wir zeigen ihnen, dass wir sie beobachten. Unsere Botschaft lautet: Wenn ihr unbedingt kämpfen wollt, dann nicht hier!“, sagt Ungi.

„Militärs und Rebellen zu überzeugen, ist das Schwerste“, sagt der Aktivist Rexall Kaalim, der für eine NGO „Bantay Ceasefire“ und die „Räume des Friedens“ koordiniert. Die Regierung bestünde auf Verfassung und Gewaltmonopol, die Rebellen pochten auf ihr Recht zum Widerstand. „Es erfordert Mut von einem Muslim, einem christlichen General gegenüberzutreten, und für einen christlichen Dorfvorsteher ist es nicht einfach, ein Lager von Muslim-Rebellen aufzusuchen.“ Die zivilen Friedensinitiativen, die in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen haben, erhöhen den Druck auf die Kriegsparteien, sich ernsthafter um eine friedliche Lösung zu bemühen. Sie verhindern auch das Abdriften der bewaffneten Kräfte beider Seiten ins kriminelle Milieu und sie wirken damit der weiteren Verrohung der Gesellschaft entgegen.

Filmleichen in Bus

Eineinhalb Stunden Busfahrt westlich von Pikit liegt die Provinzhauptstadt Cotabato. Auf der von Kokospalmen gesäumten Landstraße, die zuletzt 2003 umkämpft war, sind zurzeit die meisten Kontrollposten des Militärs nicht besetzt. Dafür fährt der Krieg im Bus mit. Im Bordvideo unterhält ein Action-Film mit Schießereien, bis Cotabato gibt es Dutzende Leichen.

Die 180.000-Einwohner-Stadt ist ruhig. Trotzdem nehmen Soldaten, wenn sie in Restaurants essen, ihre Schnellfeuergewehre und Magazine mit. Cotabatos kriegerischste Orte sind derzeit die Internetcafés. Jugendliche aller Religionen schlagen hier mit ohrenbetäubenden Kriegsspielen die Zeit tot.

In Cotabato liegt das Hauptquartier des Internationalen Monitoringteams. Es besteht aus 64 Soldaten aus Malaysia, Brunei und Libyen, die sich auf fünf Städte verteilen. Es wird von einem malaysischen General geführt. Früher unterstützte Malaysia die bewaffneten Separatisten, heute beherbergt es die Friedensgespräche mit der MILF. „Die Zahl bewaffneter Zwischenfälle geht zurück“, sagt der malaysische General. „Bantay Ceasefire“ sei sehr hilfreich. „Es sind meine Augen und Ohren.“

Im Rathaus ist man froh, dass Cotabato in letzter Zeit von Bombenanschlägen verschont blieb. Bürgermeister Muslimin Sema ist gleichzeitig Generalsekretär der MNLF. Die älteste muslimische Rebellenorganisation schloss 1996 bereits ein Friedensabkommen. Es sollte die Autonomie der Muslime stärken, doch es enttäuschte viele. Die von der Regierung zugesagten Gelder seien nicht gekommen, klagt Sema. Auch dürften die Muslime weiter nicht über die Rohstoffe ihrer Region verfügen. Die Menschen hier haben für die ökologischen Folgen von Bergbau und Abholzung zu zahlen, doch der Profit daraus gehe weiter nach Manila. „1996 war die autonome Muslimregion die viertärmste des Landes, heute ist sie die ärmste“, sagt Sema. Er verdankt dem Friedensvertrag seinen Posten. Sein Amtszimmer ziert die Zeichnung eines mondänen Rathauses im islamischen Baustil, von dem Sema offensichtlich träumt.

Am Flughafen außerhalb der Stadt ist das Hauptquartier der 6. Infanteriedivision. Nähert sich das tägliche Flugzeug aus Manila, sichern Soldaten das Flughafengebäude. Sonst startet hier nur Generalmajor Rau Relano, der Kommandeur der Division, mit dem Helikopter zu Erkundungsflügen. Der General, der Besucher im verschwitzten olivgrünen T-Shirt empfängt, kämpft seit 33 Jahren in Mindanao. Bald wird er pensioniert. Relano ist stolz, im Jahr 2000 das MILF-Hauptquartier Camp Abubakar erobert zu haben, 47 Mann verlor er dabei. Kritiker werfen ihm vor, mit dieser Eroberung nicht nur den Waffenstillstand gebrochen, sondern auch dazu beigetragen zu haben, dass die MILF-Führung die Kontrolle über ihre Kommandeure verloren hat. So kooperierten diese seitdem eher mit Banditen und Terroristen, was die MILF-Führung ablehnt.

„Früher haben wir bei Zwischenfällen sofort die MNLF oder MILF beschuldigt“, räumt Relano ein. „Heute schauen wir genauer hin, ob deren Führung auch wirklich dahintersteckt.“ Immer wieder gefährdeten kriminelle Aktionen Bewaffneter und Überreaktionen des Militärs den Waffenstillstand. Der politische Konflikt auf Mindanao ist militärisch nicht lösbar, meint Relano. Die MILF wolle inzwischen Frieden und auch die MNLF sei nicht mehr am Krieg interessiert. Sorge bereite ihm die terroristische Abu-Sayyaf: „Die warten darauf, dass sich die MILF nach einem Friedensabkommen spaltet und radikalere Kämpfer dann zu Abu-Sayyaf gehen.“

Ein schneidiger Oberst

Auf den Kampf gegen Abu-Sayyaf ist Eduardo del Rosario spezialisiert. Der schneidige Oberst befehligt in Davao, der mit 1,4 Millionen Einwohnern größten Stadt Mindanaos, die so genannte Task Force. Diese Antiterroreinheit aus 450 Soldaten und 1.170 Paramilitärs wurde 2003 gegründet, nachdem es schwere Bombenanschläge gegeben hatte. Vor del Rosarios Hauptquartier parkt ein Schützenpanzer, über ihm fordert eine Losung: „Bekämpft Terrorismus. Meldet unbeaufsichtigte Taschen und verdächtige Personen.“ Oberst del Rosario hält Abu-Sayyaf für ein vorübergehendes Problem. Das wahre Problem seien die Kommunisten und ihre Neue Volksarmee (NPA). Denn die zielten auf die Macht in Manila. Die Gespräche mit der MILF sieht del Rosario übrigens pragmatisch: „Ein Feind weniger, um den wir uns kümmern müssen.“

Ghazali Jaafar war bisher der Feind. Der kleine, stämmige MILF-Vizechef lebt momentan ganz offen am Stadtrand von Cotabato. Sein Grundstück bewacht eine MILF-Garde mit selbst gefertigten Maschinenpistolen. „Wir verhandeln mit der Regierung über das Konzept des ‚angestammten Landes‘,“ sagt Jaafar und meint damit traditionelle Siedlungsgebiete (anchestral domain) und daraus resultierende Rechte. Die MILF fordert die Selbstbestimmung der philippinischen Muslime und meint damit die Unabhängigkeit. Jaafar hält die zwischen Regierung und rivalisierender MNLF vereinbarte Autonomie für ungeeignet. Da Manila nicht über Unabhängigkeit und die Rebellen nicht über Souveränität verhandeln wollen, ist „angestammtes Land“ der kleinste gemeinsame Nenner. Beobachter werten dies als Versuch der MILF, ihre großen Camps wieder zu eröffnen. Die MILF spricht dagegen von einer Politik kleiner Schritte.

Pfarrer Layson aus Pikit hat das Frühstück unterdessen längst beendet. Ja, sagt er, in der Vergangenheit sei auf seine Kirche auch schon eine Granate geflogen. Er selbst erwartet eine Zuspitzung der Konflikte unter Muslimen. „Die MNLF hat heute einige Machtposten. Die will sie nicht aufgeben, aber welche Posten soll die MILF nach einem Friedensvertrag dann noch übernehmen?“ Regierung und Rebellen betrachteten Frieden nur als Abwesenheit von Krieg. Dabei übersähen sie, dass der Konflikt eine Kultur der Gewalt schuf. „Deshalb muss die Zivilgesellschaft gestärkt werden“, sagt Layson. Es gebe keine Garantie, dass „Bantay Ceasefire“ und die „Räume des Friedens“ den Krieg wirklich aus den Dörfern heraushalten könnten. „Doch es ist wichtig, dass wir den Menschen überhaupt Alternativen aufzeigen. Hält der Waffenstillstand, wächst die Hoffnung.“