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Archiv-Artikel

Wissen, was in der Dorfkirche passiert

MUSIKFESTIVAL Junge und alte Kompositionen sowie naturkundliche Exkursionen bietet der Musikalische Sommer Ostfriesland, den der österreichische Geiger Wolfram König vor 25 Jahren gründete

Das regionale Konzept ging auf: 80 Prozent der Zuhörer kommen aus Ostfriesland

Nein, dachte Wolfram König, das kann nicht sein: dass zu einem Kammermusik-Konzert nur eine Handvoll Zuhörer erscheint – und das in Aurich, einer Stadt mit rund 40.000 Einwohnern. Das wollte der österreichische Geigenvirtuose, als er Ende der 70er Jahre mit seinem Kammermusik-Ensemble in Ostfriesland gastierte, nicht glauben. Also inserierte er in allen Zeitungen der Region: die Leute sollten zwischen Weihnachten und Neujahr ins Auricher Rathaus kommen. Da gäbe es feine Kammermusik.

Und sie kamen: 40 am ersten Abend, nach drei Tagen waren es schon 270; die Qualität hatte sich herumgesprochen. Danach hat König einfach weitergemacht: Er gab Geigenkurse und lud befreundete Musiker zu Kammermusik-Sessions ein, bis daraus – vor genau 25 Jahren – der Musikalische Sommer Ostfriesland wurde. Inzwischen präsentiert er jährlich rund 50 Konzerte in Kirchen und alten Ständesälen zwischen Emden und Bad Zwischenahn. Träger ist der Verein Ostfriesische Landschaft, das Programm gestaltet Wolfram König. Und irgendwann hat er angefangen, auch junge Musiker einzuladen, „von denen ich glaubte, dass ich sie dem Publikum zumuten könnte“, sagt er und lacht.

Als Konkurrenz etwa zum Schleswig-Holstein Musikfestival begreift sich König aber nicht. „Ich habe dieses Festival für die regionale Bevölkerungen gegründet und nicht für Touristen“, sagt er. Das Konzept ging auf: 80 Prozent der Zuhörer kommen aus der Region, die übrigen großteils aus den benachbarten Niederlanden. Denn in Groningen findet zeitgleich das Peter de Grote-Festival statt, mit dem der ostfriesische Musiksommer kooperiert: Beide Festivals tauschen Ensembles aus; die Broschüren werben zweisprachig für die Konzerte beiderseits der Grenze. Auch dies funktioniert: „Von 15.000 Zuschauern jährlich kommen rund 5.000 aus den Niederlanden“, resümiert Dirk Lübben, der organisatorische Leiter des Musikalischen Sommers.

Doch das Festival will nicht nur kulturbedingte Grenzübertritte initiieren: „Wir haben zwar kein Geld, um Auftragswerke zu vergeben“, sagt König, „aber Uraufführungen gibt es bei uns regelmäßig.“ Dieses Jahr werden Werke etwa von Christoph Staude und Rebecca Saunders erklingen. König mischt sie so geschickt mit klassischen Werken, dass das Publikum dieses „Sandwich“-Programm klaglos akzeptiert. Und wenn auch ein Großteil der Zuhörer 45 und älter sei, ähnele es keineswegs dem „großstädtischen Honoratiorenpublikum“, sagt König. „Zu den Konzerten kommen auch viele Menschen, die wissen wollen, was in ihrer Dorfkirche passiert.“

Viele dieser Kirchen bergen übrigens gut erhaltenen Arp-Schnitger-Orgeln, von denen auffallend viele im ostfriesisch-niederländischen Grenzgebiet stehen. Exkursionen, die das Festival gleichfalls anbietet, führen nicht nur dorthin, sondern auch zu Wasserschöpfmühlen, in Parks und zu den Brutgebieten der Eisvögel. Natur und Kultur verbinden sich in diesem Programm enger als bei vergleichbaren Festivals; ein Vorteil, den man aus der peripheren Lage zog. Und wenn das Festival auch keine Kaderschmiede ist, haben viele der jungen Musiker „sehr gut Karriere gemacht“, sagt König. „Der Musiksommer bietet die Chance, sich zu präsentieren – aber letztlich sind wir ein kleines Festival, das keine exorbitanten Gagen zahlen kann.“ Deshalb fehlen die großen Namen. Aber die vermisst Wolfram König auch nicht: „Die kann man ja bei den anderen Festivals bewundern.“ PETRA SCHELLEN

17. 7. – 9. 8. 2009 www.musikalischersommer.net