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Archiv-Artikel

Audiovisuelle Spurensuche

Die belgische Künstlerin Joelle Tuerlinckx und der niederländische Künstler Willem Oorebeek haben in Münster ein akustisches Installationsprojekt realisiert, das sich mit der realen Situation des Ortes und seiner Wahrnehmung auseinandergesetzt hat

Die ehemalige Lagerhalle ist ein Ausstellungsort im urbanen Niemandsland

VON KÄTHE BRANDT

Der Industriehafen am Dortmund-Emskanal gehörte bislang nicht zu den Vorzeigeadressen der kürzlich zur „lebenswertesten Stadt“ Deutschlands gekürten Westfalenmetropole Münster. Das könnte sich inzwischen geändert haben. Hatte schon die ehemalige Lagerhalle Am Hawerkamp, ein Ausstellungsort „im urbanen Niemandsland“, so die Betreiber, eine deutliche Gegenposition zu den etablierten innerstädtischen Kulturinstituten eingenommen, so ist seit ihrem Umzug in die fünfte Etage des beeindruckenden Getreidespeichers im Juni 2004 im Hafen nebenbei auch eine neue Infrastruktur entstanden. Cafés, Restaurants, Clubs, Theater haben sich hier angesiedelt und sogleich regen Zuspruch gefunden. Denn es duftet noch ein wenig nach Subkultur und zugleich nach einer Gefährdung durch diese Aufwertung.

“Experimentelle Positionen nach Münster zu holen bedeutet eine unbequeme Dynamik zu erzeugen und Erfahrungen mit künstlerischen Wagnissen zu ermöglichen.“ So stellt Gail B. Kirkpatrick, Leiterin der „Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster“ ihre Institution vor. Damit ist viel gesagt über den Anspruch, mit dem sie seit gut zwölf Jahren das Kunstleben in Münster ein wenig aufzumischen versucht. Offenbar mit Erfolg– zumindest in der örtlichen Kultur-Szene. Kaum aber zeichnet sich breitere Akzeptanz ab, wird auch diese Nische sogleich für einen „Standort-Vorteil“ vereinnahmt. Das Finanzierungsmodell für den Speicher II als Public-Private-Partnership ist getragen, so die kulturpolitisch stereotype Begründung, „von der gemeinsamen Vision, die Entwicklung des Stadthafens mit jenen zukunftsweisenden Impulsen zu verbinden, die von der zeitgenössischen bildenden Kunst ausgehen können.“ Zu hoffen ist jedenfalls, dass hier nicht bald schon Blumenrabatten den Parkplatz rahmen.

Documenta-Teilnehmerin Joelle Tuerlinckx (geboren 1958 in Brüssel) und Willem Ooerbeek (geboren 1953 in Pernis bei Rotterdam), die häufiger schon und erfolgreich ihre Zusammenarbeit erprobt haben, scheinen mit ihrem Projekt „Le Visiteur Parfait“ (Der Perfekte Besucher) erneut einen Modus gefunden zu haben, ihre unterschiedlichen Arbeitsweisen aufeinander zu beziehen und sich aus der künstlerischen Distanz heraus auf den vorgefundenen Kontext einzulassen.

Das Finden und Zusammentragen von Fundstücken aus der Umgebung des Hafens, das Sammeln und Transformieren der Eindrücke ihrer Wahrnehmung dient ihnen dazu, das visuelle im akustischen Bild der Identität des Ortes sichtbar werden zu lassen. Dabei besteht die Rauminstallation, für die Tuerlinckx in fünf Fenstern Tonanlagen installiert hat, aus verschieden lauten Geräuschen und Stimmen. Auf dem Boden markieren Klebestreifen Kreise, Ellipsen und Kreuze, die sinnbildhaft eine Choreographie ihrer Bewegungen im Hafenareal nachzeichnen. Man kann allerdings auch blind in dieser Ausstellung etwas „sehen“: In den zu hörenden dialogischen Wahrnehmungsprotokollen, die die beiden Künstler miteinander führten. Hier werden – und das sehr professionell – in lakonischen Beschreibungen die Gebäude, Stimmungen, das Wetter kommentiert, in ironisch gespielter Naivität werden Selbstverständlichkeiten betrachtet, die im Fokus der künstlerischen Aufmerksamkeit zu mitunter absurden Sachverhalten mutieren. Auf diese Weise wird aber vor allem die eigene Wahrnehmung und das Sprechen darüber zum Thema.

Im angrenzenden Projektarchiv, einer Asservatenkammer künstlerischer Sammellust, können die Wege durch Münster, mit anschaulichem Material dokumentiert, imaginativ nachgegangen werden. Die Dinge sind Zeugen einer ungezielten Aufmerksamkeit, Protokolle zufälliger Begegnungen – und hier sind sie ästhetische Objekte. Bei diesem Gemeinschaftsprojekt von Tuerlinckx und Oorebeek scheint es tatsächlich gelungen zu sein, eine kritische Instanz in den Arbeitsvorgang nicht nur zu involvieren, sondern sie sogar zu einem wesentlichen Bestandteil des Werkes zu machen.

Die Künstler treten in ein offenes Zwiegespräch, welches dann – bestenfalls – in einen Dialog auch mit dem Besucher münden soll, mit dem titelgebenden „perfekten Besucher“ der bereit ist, den verschlungenen Pfaden dieser geheimnisvollen Spurensuche zu folgen. Lässt man sich im langsamen Gang durch die Ausstellungshalle auf die akustische Hafen-Wanderung ein, wird manch spannender Bezug offenbart. Vor allem aber ist es das erkennbare gemeinschaftliche Ringen um Transparenz, welches diese Arbeiten zu bemerkenswerten Zeugnissen künstlerischer Welt- und Selbsterforschung macht.

Ausstellungshalle zeitg. Kunst Industriehafen Münsterbis 8.5.2005