Europa wird ausgeschlachtet

Ohne Hilfsarbeiter aus Osteuropa kommt kaum ein Steak auf den Tisch. Der Fleischproduzent Tönnies wird nun verdächtigt, illegale Arbeiter eingesetzt zu haben

RHEDA-WIEDENBRÜCK taz ■ Der Fleischproduzent Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück wehrt sich gegen den Vorwurf, Arbeiter aus Osteuropa illegal zu beschäftigen. Der nach eigenen Angaben größte „Qualitätsfleischhersteller in Europa“ wies einen Bericht im Bielefelder Westfalen-Blatt zurück, demzufolge über Werkverträge unter anderem aus der Ukraine eingereiste Arbeitskräfte reguläre Jobs in den Schlachthöfen verdrängt haben sollen. Die Zeitung beruft sich auf Ermittlungen der Bielefelder Staatsanwaltschaft und auf Aussagen eines verurteilten Vermittler von rumänischen Schlachtarbeitern. Tönnies drohte juristische Schritte an, die laut Westfalen-Blatt allerdings noch nicht eingeleitet worden sind.

Die Bielefelder Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sie mögliche Scheinwerkverträge bei Tönnies prüft. Allerdings laufe das Verfahren bereits seit 2003, so Oberstaatsanwalt Klaus Pollmann zur taz. Tönnies rechnet jedoch mit einer „baldigen Einstellung“ des Verfahrens, sagt Unternehmenssprecher Michael Ebeling. Alle so genannten „Kontingentarbeiter“ aus Osteuropa hätten eine Genehmigung des Arbeitsamtes. „Wir haben expandiert und in der Region nicht genügend Arbeitslose für den Job gefunden“, sagt Ebeling. Bei Werbeveranstaltung an Schulen hätten Jugendliche „große Ressentiments“ gegen den Schlachterjob gezeigt: „Viele sagen, dass sie kein Blut sehen können.“

Ob legal oder illegal: Ohne Arbeiter aus Osteuropa kann kaum noch ein Fleischunternehmen zu Marktpreisen produzieren. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten geht davon aus, dass auf diesem Weg bundesweit in den vergangenen Jahren 26.000 reguläre Arbeitsplätze verdrängt worden sind. Bei Tönnies sind 2.050 der 4.900 Arbeiter über Werkverträge mit Subunternehmern angestellt: Für Beschäftigte aus den neuen EU-Beitrittsländern wird ein Stundenlohn von sechs bis neun Euro netto gezahlt. „Nach unseren Informationen wird davon kein Geld mehr für Unterkunft und Verpflegung vom Lohn abgezogen“, gibt Firmensprecher Ebeling an – in vielen Fällen ist das anders. Wie viel die Arbeiter aus Nicht-EU-Ländern wie Rumänien verdienen, kann er nicht beziffern: Der Lohn wird zwischen Subunternehmer und rumänischer Regierung ausgehandelt.

Auch der Münsteraner Großkonzern Westfleisch beschäftigt Kontingentarbeiter. Auf 916 Festanstellungen kommen 2.034 Werkverträge, den Stundenlohn gibt der Subunternehmer vor. „Das ist schon eine hundsmiserable Situation, die man auch erstmal zu Hause am Küchentisch kommunizieren muss“, sagt Westfleisch-Vorstand Bernd Cordes. Er sieht das Unternehmen wie auch die Politik „gefangen in der Falle“ zwischen Wettbewerb und angemessenen Löhnen. „Viele Menschen merken erst jetzt, was Europa bedeutet“, sagt Cordes. Sollte die EU – etwa durch die Einführung eines Mindestlohns oder die angekündigte Anpassung der neuen Dienstleistungsrichtlinie – gegensteuern, werde er sich damit arrangieren. „Wenn das mit Augenmaß geschieht, kann ich damit leben.“ KLAUS JANSEN