: Befreien kann man nur sich selbst
Das Bremer Theater bringt Paul Dukas‘ selten gespielte Oper „Ariane et Barbe-Bleue“ in einer eindrucksvollen Inszenierung von Konstanze Lauterbach
Sehr tief muss das Verließ sein, in dem die Frauen des Herzog Blaubart dahin vegetieren. Ariane, Blaubarts neueste Frau, und die Amme steigen an einer meterlangen Leiter herunter zu ihnen, den grauen, zum Teil schon verrückt gewordenen Frauenwesen. Der Mythos vom Herzog Blaubart, dem Triebtäter, der seine Frauen tötet und immer neue heiratet, der seinen Frauen verbietet, die entsprechende Tür zum Verließ zu öffnen, der erleben muss, dass die Neugier der jeweils neuen stärker ist als alle Verbote, dieser Mythos stammt schon aus dem 11. Jahrhundert und hat zahlreiche literarische Varianten erfahren. In der Oper taucht Blaubart 1911 bei Béla Bartók auf und schon 1907 vertonte der französische Komponist Paul Dukas den Stoff nach einem Libretto von des symbolistischen Dichters Maurice Maeterlinck. Bei Maeterlinck allerdings sind die Frauen nicht tot, sondern eingekerkert.
Es wird weiterhin ein Rätsel bleiben, warum diese großartige Musik so selten gespielt wird. Jetzt steht sie auf dem Spielplan des Bremer Theaters am Goetheplatz in einer Inszenierung von Konstanze Lauterbach, deren präzise und eindrucksvolle Frauenbilder in guter Erinnerung sind. Vielleicht steht einer angemessenen Rezeption auch entgegen, dass die Botschaft schwer zu ertragen ist: Befreien kann man nur sich selbst. Dies muss Ariane bitter erfahren.
Ihre erste Pflicht sei, Männergeboten nicht zu gehorchen, stellt sie sich vor und macht sich umgehend auf die Suche nach den verschwundenen Frauen, von denen die rebellierenden Bauern ihr erzählt haben. Konstanze Lauterbach hat ungemein kraftvolle Bilder geschaffen und vor allem die Tatsache eines in der langen Haft veränderten Körperausdrucks umgesetzt: da gibt es Frauen, die autistisch schaukeln, da gibt es welche, die nur noch apathisch vor sich hinglotzen, das gibt es welche, die sich kindisch zusammenballen, da gibt es welche mit heftiger irrationaler Aktivität. Nur das sind noch die Unterschiede, das Verhalten ist letztendlich bei allen gleich: sie scheuen das Helle, sie werden erneut verführt von Blaubarts Glitzerkram, sie bleiben bei ihrem Peiniger, begehren ihn sogar, was ihre einzige Aktivität zeigt.
Auch die politische Nebenhandlung führt zur einzigen zentralen Aussage, dem „Drama der erkannten Wahrheit“, wie der französische Komponist Olivier Messiaen das Werk seines Lehrers Dukas genannt hat. Die Bauern stürmen die Burg des Tyrannen, verletzen und fesseln Blaubart, vergreifen sich auch an den Frauen. Nur mit Mühe kann Ariane sie davon abhalten, ihn zu töten. Ariane liebt den Despoten, noch immer, befreit ihn und pflegt seine Wunden. Dann geht sie, desillusioniert, verzweifelt, sie ist gescheitert, weil sie erkennen muss: „Niemand will befreit werden. Befreiung unterdrückt, weil sie das Unbekannte ist und es wird ihr jeder Mann und jede Frau immer eine vertraute Abhängigkeit vorziehen, da ihre furchtbare Ungewissheit gleichsam als ‚Bürde der Freiheit‘ auf den Menschen lastet“ (Paul Dukas). Eine Auseinandersetzung mit dem fast stummen Blaubart führt Ariane nicht.
Das symbolistische Bühnenbild von Kathrin Frosch mit seinen Lichteinfällen, Pfeilen und Zeichen an weißen Mauern, dem massenhaft herumliegenden Schmuck stützt die Inszenierung bestens, ebenso die Kostüme von Daniela Villaert.
Der Dirigent Stefan Klingele, in Bremen schon lange Fachmann für die Außenseiter des Opernrepertoires, lässt mit den Bremer Philharmonikern diese außerordentliche Partitur in ihrem ganzen Reichtum erblühen. Farben explodieren regelrecht, Stimmungen werden nuancenreich ausgebreitet – Claude Debussy und Richard Wagner lassen grüßen. Die oft regelrecht hitzige Musik, eine Musik der Psychoanalyse und des Unbewussten, „zeigt einen seelischen Innenraum, die Sinne sind vollkommen lahm gelegt“, wie Konstanze Lauterbach es in einem Interview formuliert hat.
Enorm anspruchsvoll sind die Anforderungen an die Sängerinnen, vor allem an die Lichtbringerin Ariane, die drei Akte lang ohne Unterbrechung auf der Bühne steht und Schwerstes singt. Yamina Maamar aus Dortmund glänzte da schauspielerisch wie sängerisch gleichermaßen. Große Besetzungen auch für die grauen Frauen: Yaroslava Kozina, Nadine Lehner, Slatina Taralova, Sibille Specht und die Tänzerin Zhianyin Ling, denen Lauterbach ihre verbliebene Individualität über Körperdifferenzierung abverlangt. Gut gestaltet auch die Amme von Maria Kowollik, die zunächst einmal angesichts des Schmucks völlig austickt, dann aber bei Ariane bleibt. Die Darstellung des debil-mächtig-stummen Blaubart von Loren Lang macht die Handlungsohnmacht der Frauen noch einmal unverständlich. Viel Beifall für eine durch und durch gelungene Premiere.
Ute Schalz-Laurenze
Die nächsten Aufführungen: 31. März, 14. April