: Schachlegende setzt Washington matt
Ex-US-Weltmeister Bobby Fischer reist mit isländischem Pass nach Island aus und entgeht einer Auslieferung an die USA
Nach 33 Jahren schließt sich der Kreis. Am Donnerstagabend wurde Bobby Fischer von seinen Fans mit Blumen dort begrüßt, wo sein Mythos begonnen hatte. In Reykjavik war das Schachgenie 1972 Weltmeister geworden. Nur zweimal kam die Sageninsel in den letzten 50 Jahren in die Schlagzeilen, ohne dass ein Vulkanausbruch der Grund war. 1986 beim Gipfel zwischen Reagan und Gorbatschow, 1972 beim Schach-WM-Finale zwischen Boris Spasski und Bobby Fischer.
Die Dankbarkeit sitzt tief und so gewährte ihm Islands Parlament am Montag einstimmig, um was er gebeten hatte: die Staatsbürgerschaft. Seine amerikanische hat er aufgegeben. Die USA hatten gegen ihn einen Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Jugoslawien-Embargo erlassen. Bis 10 Jahre Haft drohen ihm, weil er 1992 dort an einem Schachturnier – er gewann gegen Boris Spasski und kassierte 3 Millionen Dollar Preisgeld – teilgenommen hatte.
Nach 12 Jahren Flucht war die 62-jährige Schachlegende im Sommer 2004 auf dem Flughafen von Tokio festgenommen worden. Auslieferungsversuche konnte er mit Rechtsmitteln verzögern. Mit dem isländischen Pass und der von Japan genehmigten Ausreise setzte er Washington nun erst einmal matt.
Sehr unzufrieden sei man mit der Entscheidung Reykjaviks, ließ Adam Ereli, Sprecher des US-Außenministeriums, wissen. Island ist ein enger Militärpartner der USA. Doch Schach ist auf der Insel wichtiger als solche Bündnisfragen. Wie wichtig, kann man vielleicht daran messen, dass knapp 300.000 EinwohnerInnen 9 Schachgroßmeister hervorgebracht haben. Fischer ist jetzt der zehnte. Das Duell Spasski–Fischer gilt als das größte Sportereignis Islands.
Im Kalten-Kriegs-Klima der Siebzigerjahre war diese Weltmeisterschaft gleich zu einem Wettstreit zwischen zwei Gesellschaftssystemen stilisiert worden. Die UdSSR hatten diesen „Kampf der Gehirne“ seit Ende des Zweiten Weltkriegs vollständig dominiert. Der glühende Antikommunist Fischer brach diese Hegemonie. Dass dabei der Sowjetmensch Spasski als Gentleman und der „Repräsentant der freien Welt“ als problematischer Rüpel und „bad guy“ auftraten, spielte keine Rolle. Während Fischer dem sowjetischen Spieler psychologische Kriegführung vorwarf, beherrschte er diese selbst meisterhaft. Seine Beschwerden drohten das Duell zeitweise platzen zu lassen.
Als Fischer am 1. September 1972 die letzte Partie für sich entschieden hatte, feierten westliche Medien den US-Spieler als Symbol für die Überlegenheit des kapitalistischen Systems. Dieses schaffe erst die Voraussetzungen für kreative Genialität, mit der man die vom Kommunismus hervorgebrachten „Schachroboter“ besiegen könne. Er verlor den Titel, als er sich 1975 weigerte, gegen Herausforderer Anatoli Karpow anzutreten. Sein Rückzug steigerte aber eher die Mythenbildung. Meterweise Literatur, ein Film und das Musical „Chess“ haben Fischer zum Thema. REINHARD WOLFF