: Zitterpartie in Holland
Nach einem Ministerrücktritt droht dem Kabinett von Regierungschef Balkenende erneut ein frühzeitiges Aus
Nach dem Scheitern seines ersten Kabinetts 2002 wackelt nun auch die zweite niederländische Mitte-Rechts-Regierung unter Premier Jan Peter Balkenende. Der Minister für Verwaltungsreformen und königliche Angelegenheiten Thom de Graaf trat am Mittwochabend zurück, nachdem seine Pläne zu einer Demokratisierung der Kommunen gescheitert waren. Nun kommen in seiner linksliberalen Partei Demokratie 66 (D66) Zweifel auf, ob die Fortsetzung der Koalition mit den Christdemokraten (CDA) und den Rechtsliberalen (VVD) überhaupt noch Sinn hat.
Grund für den Rücktritt de Graafs war eine herbe politische Niederlage des Ministers. Dieser wollte per Änderung des Grundgesetzes die Direktwahl der Bürgermeister einführen. Die sozialdemokratische Opposition verweigerte am Dienstag aber die für eine Zweidrittelmehrheit nötigen Stimmen. Um „überhaupt noch in den Spiegel gucken zu können“, forderte de Graaf nach dem Scheitern zumindest den Teil seines Gesetzesentwurfs zu retten, für den keine Verfassungsänderung notwendig gewesen wäre. Bei Verhandlungen der Fraktionschefs der Regierungskoalition am Mittwoch weigerte sich die VVD den Entwurf zur Neuordnung der Verwaltungsdistrikte zu unterstützen. Niederländische Medien wollen jedoch wissen, dass auch der D66-Fraktionsführer Boris Dittrich wenig getan habe, um de Graafs Gesetz zu retten, da er die Verhandlungen frühzeitig abgebrochen habe. Die Volkskrant sprach sogar von „Verrat“.
Premier Balkenende steht nun unter großem Druck. Bereits sein erstes Kabinett trat nach einem halben Jahr zurück, weil sich die populistische Lijst Pim Fortuyn (LPF) intern zerstritten hatte. Deshalb erstaunt es kaum, dass Balkenende Durchhalteparolen ausgab. Er sei „optimistisch“ was den Fortbestand des Kabinetts angehe, sagte der Premier gestern.
Fraglich ist jedoch, ob die Koalition auf weitere D66-Forderungen eingeht. Die zwei anderen Kabinettsmitglieder der D66, Wirtschaftsminister Brinkhorst und Kulturstaatsminister van der Laan, fragen sich aber schon öffentlich, ob die politischen Ziele der Partei noch umsetzbar seien. Beide erwägen, dem Beispiel von de Graaf zu folgen.
Drei Szenarien sind nun möglich: CDA und VVD können die D66 durch Zugeständnisse zum Weitermachen bewegen; die D66 verabschiedet sich, CDA und VVD regieren allein weiter. Dann wären sie als Minderheitenregierung auf die Unterstützung der anderen Parteien angewiesen, vor allem der LPF; die Regierung tritt zurück, es gibt Neuwahlen. Nach einer aktuellen Umfrage sprechen sich zwei Drittel der Niederländer für diese Option aus, die unruhige Zeiten einläuten würde. Denn das wären bereits die zweiten Neuwahlen innerhalb von drei Jahren.
LEON WANSLEBEN