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Archiv-Artikel

Der Kneipenkrieg im Graefekiez

Das „Matilda“ und das „George’s“ liegen direkt gegenüber. Die Betreiber der Kreuzberger Kneipen sind völlig zerstritten: Jeden Abend ruft einer der beiden die Polizei – wegen Lärmbelästigung. Ein Lokalbesuch

Briefe werden hin und her geschickt – von einer Straßenseite auf die andere

VON JOHANNES GERNERT

Manchmal sagt Georgios Calios Sätze, die klingen so schön sanftmütig und versöhnlich, als stammten sie von einem Zehlendorfer Pfarrer, nicht von einem Kreuzberger Kneipenwirt. „Miteinander leben ist die Devise, nicht gegeneinander“, ist so ein Satz. Und wenn Georgios Calios so redet, könnte man daran zu zweifeln anfangen, dass das derselbe Mensch ist, der seinen Nachbarn fast jeden Abend die Polizei ins Haus bestellt, manchmal auch mehrmals am selben Tag. „Nachbarschaftsstreit“ oder gar „Kneipenkrieg“ erscheinen dann als viel zu böse Worte für die friedliche Welt des Georgios Calios.

Nun ist es aber trotzdem so, dass sich der deutschgriechische Kneipier seit einer ganzen Weile schon rechtlich mit seinen Nachbarn auseinander setzt. Die Nachbarn sind selbst Kneipenwirte. Sie betreiben das „Matilda“, dessen grünes Schild abends ein paar Gehminuten vom Landwehrkanal entfernt leuchtet. Gegenüber strahlt Georgios Calios roter „George’s“-Schriftzug. Calios wohnt über dem Matilda, mit seiner Frau und seinem Sohn. Es verhält sich weiterhin so, dass das Matilda eine gern frequentierte Kneipe ist, die nach ihrer Eröffnung in manchem Stadtmagazin lobend erwähnt wurde, und dass gegenüber im George’s das Gästeaufkommen eines Tages sich meist mit den Fingern einer einzigen Hand berechnen lässt.

„Die vermuten, dass ich neidisch bin“, sagt Georgios Calios, „aber ich bin nicht neidisch auf die.“ Es geht ihm um die Belästigung seines 16 Jahre alten Sohnes: Lärmbelästigung. Wenn Georgios Calios davon erzählt, klingt er plötzlich nicht mehr so friedlich. „Im Moment“, sagt er, „bin ich noch verdammt ruhig.“

Wegen des Kneipenlärms habe der Junge schlechte Noten in der Schule. Er sei unausgeschlafen. Auch seine Frau müsse um sechs Uhr morgens aufstehen und zur Arbeit. Es bleibe ihm deshalb kaum eine andere Wahl, als allabendlich die Polizei zu rufen. Er habe versucht, sich zu einigen. Er habe den Matilda-Betreibern angeboten, für ordentliche Schallisolierung zu sorgen, schließlich habe er Erfahrung: Zwölf Kneipen habe er schon gehabt in seinem Leben („Ich bin ein alter Hase. Ich kenne die vom Bauamt“). Aber die hätten sich nicht helfen lassen.

Mit Celal Sezgin und Konstantin Wenuck, den beiden Nachbarswirten, hat Georgios Calios seit längerem nicht mehr gesprochen. Sie wohnen alle in der Graefestraße, aber sie gehen sich aus dem Weg. Die Sache ist mittlerweile zu verfahren. „Teilweise“, sagt Konstantin Wenuck, „sind wir mit den Nerven echt am Ende.“

Sie hatten sich das eigentlich nicht so vorgestellt, als sie ihr Kneipierdasein begannen, nachdem sie vor ein paar Jahren aus Fulda nach Berlin gekommen waren. Zuerst haben sie ein bisschen gejobbt. Dann entdeckten sie die leer stehenden Räume in der Graefestraße. Sie haben sich Geld zusammengeliehen und alles renoviert. Schon als sie vor der Eröffnung vor zwei Jahren die Einweihung feierten, kam Georgios Calios und hat sich beschwert. Celal Sezgin war daraufhin oben in der Wohnung und hat sich das angehört. Auch ihm kam es ziemlich laut vor. Aber sie hatten kein Geld für eine Schallisolierung.

Zunächst haben sie deshalb die Anlage mit einem Pegel versehen, damit wenigstens die Musik nicht allzu sehr stört. Georgios Calios genügte das nicht. Er schaltete einen Anwalt ein. Seitdem werden Briefe hin und her geschickt. Von einer Straßenseite auf die andere, mit dem Umweg über die Anwaltsbüros. Schließlich hat das Umweltamt die Lautstärke in der Wohnung der Familie Calios gemessen und tatsächlich festgestellt, dass es dort zu laut ist.

Weil sie nach einem Jahr Kneipenbetrieb etwas Geld übrig hatten, beauftragten die Matilda-Wirte eine Firma mit der Schallisolierung. Eine zusätzliche Decke wurde eingezogen. Die Dielen wurden von der Wand getrennt, sodass die Schwingungen oben nicht zu hören sind, wenn jemand darüber läuft. Zwei Tage nahmen sie nichts ein. 12.000 Euro hat es gekostet. Danach wurde alles neu gestrichen. Sie hofften, dass jetzt Ruhe einkehren würde.

Ein Messinstitut sollte prüfen, ob die Werte in Georgios Calios’ Wohnung in Ordnung waren. Aber Calios ließ niemanden rein, weil er dem Kontrolleur Parteilichkeit unterstellte. Ihm wurde eine Frist gesetzt, die verstrich. Sein Anwalt schrieb einen Brief: Darin stand, dass die Schalldecke an einem Tag eingezogen worden sei. Das könne keine ordentliche Isolierung sein. Jetzt hat das Bezirksamt vorgeschlagen, dass beide Seiten ein Messinstitut beauftragen. Georgios Calios ruft weiterhin regelmäßig die Polizei. „Meine Familie wird keine Ruhe geben, bis alles normal ist. Wir wollen nur unsere Gerechtigkeit.“

Celal Sezgin und Konstantin Wenuck haben sich erkundigt, ob wirklich jedes Mal ein Streifenwagen kommen muss, wenn Calios oder seine Frau sich beschweren. Aber das ist offensichtlich so. „Es freut sich keiner, wenn er abends beim Biertrinken die Polizei trifft“, sagt Konstantin Wenuck. Es freut sich auch keiner, wenn er im Sommer nach zehn nicht mehr draußen sitzen kann. Auch das haben die Nachbarn erreicht.

Die beiden erzählen das alles nicht in ihrer eigenen Kneipe, sondern in einem Café ein paar Häuser weiter. Sie wollen im Matilda nicht über die Sache sprechen. Sie glauben, dass Calios manchmal Spitzel schickt. Vielleicht wird man bei so einem Streit irgendwann zwangsläufig leicht paranoid. „Der will dich gezielt kaputtmachen“, sagt Celal Sezgin. „Der will, dass du krepierst.“

Georgios Calios bestreitet, dass ihn irgendetwas antreibt, was nicht direkt mit dem Lärm zu tun hat. Er hatte zwar früher schon eine Kneipe in der Straße, die hieß Restaurant Calios. 1992 habe er die verkauft, sagt er, weil die Kundschaft in den Osten abwanderte. Aber dass er, nachdem das Matilda sich recht erfolgreich behauptete, ein neues Restaurant Calios, jetzt unter dem Namen „George’s“, aufgemacht habe, nur um es denen drüben zu zeigen?

Georgios Calios schaut zum Tresen: „Linda, bringst du mir mal die Bilder?“ Er trinkt Kaffee. Auf dem Tisch liegen zwei Taschentelefoncomputer. Ein kalter Zigarrenstummel wartet am Aschenbecherrand. Die armeegrüne Hose mit den Seitentaschen wirkt jugendlich, sein weißblau kariertes Hemd eher geschäftlich. Das trübe Glasauge passt zur Zigarre. Als draußen zwischendurch ein junger Mann vor dem Fenster auftaucht und Blickkontakt mit ihm aufnimmt, winkt er ihn energisch weg. Linda bringt die Bilder.

Auf einem der Fotos sitzen zwei Männer in weißer Wüstenkleidung. Einer sieht aus wie Georgios Calios. Der andere, sagt Calios, „ist mein Brötchengeber“, der Protokollmanager von Jumeirah Beach, einer Hotelkette, die einem Scheich aus Dubai gehört. Das nächste Bild zeigt ein unscharf fotografiertes Schiffsgebilde. Das Hotel, sagt Calios. „Und da“, sagt er, „da werde ich abgeholt.“ Er steht vor einem Auto. Sein griechisches Unternehmen baue Ultralight-Flugzeuge, erzählt er. „Ich bin Gesellschafter einer Baufirma. Ich habe Leute, die für mich arbeiten. Kuck: ein Handy, noch ein Handy.“ Was er so macht den ganzen Tag? „Ich manage“, sagt Georgios Calios.

Zum Abschluss der Demonstration schüttelt er seinen Arm. „5.000 Euro, am Handgelenk, 5.000 Euro, eine Breitling“, sagt er, macht die Uhr ab und wedelt damit. Das alles soll beweisen: Georgios Calios hat Neidgedanken nicht nötig. Die Kneipe sei ein Hobby, nichts sonst. „Man hat mich gebeten, sie wieder zu übernehmen, die Hauseigentümer, die Nachbarn. Ich habe hier einen sehr, sehr guten Namen.“

Wenn man die Sache mit der Buttersäure erwähnt, stellt er zügig und ungefragt fest, dass er damit nichts zu tun habe. Es war ein weiterer Schock für die Matilda-Betreiber. Ein „großer, südländischer Mann“ sei auf die Toilette gegangen und bald darauf aus der Kneipe verschwunden. Danach strömte ein beißender Kotzegeruch aus dem Klo. Sie mussten für ein paar Tage schließen, putzen und lüften. Und immer wieder putzen. Glücklicherweise war der Stinkstoff nur in der Toilette, sonst hätte vielleicht der ganze Boden rausgerissen werden müssen.

Nach der Buttersäureattacke kamen viele Stammgäste und haben in Mänteln einen Solidaritätskaffee in der eiskalten, zugigen Kneipe getrunken. Die Wirte haben Anzeige gegen unbekannt erstattet. Solche Methoden würde man sonst eher im Zuhältermilieu vermuten, denkt Konstantin Wenuck.

„Das sind Mafiamethoden, mein Lieber“, sagt Georgios Calios. Aber er meint etwas anderes. Vor einiger Zeit sei ein Barbesitzer aus der Nachbarschaft zu ihm gekommen und habe ihm gedroht, er solle dem Matilda keinen Stress machen, sonst würde er dafür sorgen, dass „meine Kneipe nicht laufen wird“. Und jetzt: „Ich sehe nur, dass keine Leute kommen“, sagt Calios. „Wenn man ein gutes Buffet hat, kommen die Leute eigentlich.“ Sonntags kostet das Frühstück im George’s zwei Euro.

Als der Streit anfing, haben die Matilda-Wirte ihm mal angeboten, dass seine Familie doch ausziehen könne. Sie würden auch den Umzug bezahlen. Georgios Calios wohnt seit 25 Jahren in der Straße. „Ein unmoralisches Angebot“, sagt er. Er verstellt dabei seine Stimme und imitiert den Mafia-Paten aus dem Kino.

Aber dann fällt ihm etwas ein. Er dreht den Spieß um, zumindest in Gedanken: „Ich biete ihnen 15.000 Euro, dass sie da ausziehen, und ich übernehme die Kneipe.“ Dann fällt ihm noch was Besseres ein: Sie sollten einfach seine Kneipe nehmen. „Hier ist es viel größer, viel netter.“ Über die Miete ließe sich reden. Georgios Calios überlegt laut: „Ich biete ihnen 50.000 Euro, wenn sie da rausgehen.“ Ein echtes Angebot, wirklich. Man könne ihnen das ausrichten.