: Von Tony Blair die Gebührenevolution lernen
1998 führte Labour in Großbritannien Studiengebühren ein. Inzwischen haben sie sich verwandelt: Sie sind gestiegen, sie sind sozialer geworden – und der Staat streckt sie vor
BERLIN taz ■ Ihr habt noch vor euch, was wir schon hinter uns haben. Das ist der Slogan, mit dem britische Hochschulexperten dieser Tage ihren deutschen Kollegen begegnen. Sie meinen damit die nicht enden wollende Diskussion um Studiengebühren – und die Frage, ob man sie nicht doch irgendwie sozial gerecht und effektiv gestalten könnte.
Britanniens Erfahrungen zeigen – die Debatte hört nie auf, nicht einmal, wenn die Einstiegsgebühren eingeführt sind: „Es hat 16 Jahre gebraucht, bis wir die Gebühren in die Universitäten bekommen haben, die sozialen Aspekte der Finanzierung berücksichtigen und die Dozenten besser bezahlen können“, sagt Ralph Seymour-Jackson. Der Beamte ist Chef der „Student Loans Company“, der oberste staatliche Geldverleiher fürs Bezahlstudium.
Bereits unter der Konservativen Maggie Thatcher hatte die Gebührenrevolution begonnen. Kurz bevor der Sozialdemokrat Tony Blair ans Ruder kam, stand man schon wieder vor der Rückkehr zur vollständigen Finanzierung der Unis durch den Staat. Da begann Blair mit den „Grausamkeiten des Wandels“. Der erste Labour-Premier nach fast zwanzig Jahren nahm dafür selbst die Schmähung „Tory Blair“ in Kauf.
Das Vereinigte Königreich hat keine 16 Länderminister für Bildung, dafür inzwischen über sieben Jahre praktische Erfahrung mit Studiengebühren. Allein seit 1985 hat sich die Zahl der Studenten in Großbritannien verdoppelt. Das Geld aber haben sich nicht mit bewegt. Für die Unis hieß das: Pro Kopf haben sich ihre Mittel fast halbiert.
Seit 1998 kostet das Studium daher im Jahr 1.125 Pfund (rund 1.600 Euro) für all jene, deren Eltern mehr als 31.200 Pfund (rund 45.000 Euro) jährlich verdienen. Für die Lebenshaltung können Studenten einen Kredit von bis zu 5.050 Pfund (rund 7.300 Euro) im Jahr aufnehmen. Er ist nach dem Studium ratenweise rückzahlbar, sobald das Einkommen 10.000 Pfund im Jahr übersteigt (rund 14.500 Euro).
Die britischen Erfahrungen zeigten, wo nachgebessert werden muss. Ab 2006 werden deutliche Änderungen wirksam: die Gebühren werden dann nicht mehr vom Studenten selbst vorab gezahlt („up-front fees“), sondern vom Staat direkt an die Hochschulen. Die Regierung holt sich die Gebühren nach dem Examen von den Absolventen über die Steuerbehörden in Raten zurück – von allen, die mehr als 15.000 Pfund (rund 22.000 Euro) im Jahr verdienen. Wer trotz Examen dauerhaft kein Einkommen erzielt, soll die Gebühren nach 25 Jahren erlassen bekommen. Zusätzlich werden Studenten aus den unteren Einkommensgruppen nicht nur von den Studiengebühren befreit, sondern sollen auch höhere Zuschüsse für ihren Lebensunterhalt erhalten.
Der Bildungsforscher Nicholas Barr von der renommierten London School of Economics brachte kürzlich auf einer Tagung des Centrums für Hochschulentwicklung das künftige englische System der Studienfinanzierung auf den einfachen Nenner: „Students get higher education free, it is graduates who repay“.
Doch mit den Änderungen steigen erst einmal auch die Gebühren: statt der festen 1.125 Pfund können künftig die Unis die Gebühren selbst festsetzen – zwischen 0 und maximal 3.000 Pfund im Jahr. Diese neue Freiheit hat für die Studenten bislang nur einen Schönheitsfehler: von 109 Hochschulen nahmen alle bis auf 7 die Obergrenze von 3.000 Pfund in Anspruch. Jede Hochschule hält sich also für gut und damit teuer. Unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit kostet die Studenten künftig der Bachelor nach vier Jahren damit 12.000 Pfund.
Ralph Seymour-Jackson sieht daher in den nächsten Jahren Probleme für die Mittelschicht bei der Studienfinanzierung ihrer Kinder: „Die Oberschicht hat Geld für das Studium ihrer Kinder, die Unterschicht bekommt Geld – aber die Mittelschicht wird Geld brauchen. Denn sie steckt in der Mitte fest.“ Viele Bildungsexperten sehen das auch für die hiesige BAT-IIa-Angestelltengesellschaft kommen – eine nicht unbedeutende Wählerklientel der rot-grünen Regierung. Der Blick nach England lohnt, denn ein hoher Beamter des „Department for Education and Skills“, des britischen Bildungsministeriums, verbreitet im Gespräch keine Illusionen über die künftige Entwicklung der Studiengebühren: sie werden steigen – auch in Deutschland. Denn die realen Kosten der Ausbildung eines Bachelors an der Uni seien viel höher als die derzeit erhobenen Gebühren, und den Nutzen eines Studiums haben zuerst die Absolventen. „Man sollte besser nicht annehmen, dass es bei den festgesetzten jährlichen Obergrenzen von 3.000 Pfund in Großbritannien oder den angekündigten 1.000 Euro in Deutschland bleibt.“ Diese Hoffnung bezeichnet der Bildungsbeamte ganz unakademisch mit einem Wort aus der Umgangssprache: „bonkers“ – schlicht verrückt. ALEXANDER ROSS