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Archiv-Artikel

Bloßes Theater

Warum George W. Bush mit seinem Versuch, den Fall Terri Schiavo politisch zu instrumentalisieren, scheitern musste

Eigentlich hätte George Bush es besser wissen müssen. Als der Präsident vor gut zwei Jahren in voller Kampfmontur auf einem Flugzeugträger im Persischen Golf landete, um den Sieg im Irak Krieg zu verkünden, kam das langfristig nicht sonderlich gut an. Je mehr amerikanische GIs im Irak von Bomben zerfetzt wurden, desto mehr verkam das Foto des triumphalen Generalkommandeurs zum Sinnbild seiner Dummheit.

Trotzdem versuchte Bush es wieder. Diesmal trug er er zwar keinen Kampfanzug, doch der Hubschraubereinflug nach Washington an einem Sonntag sollte ähnliche Entschlossenheit in einer Sache höchster Dringlichkeit demonstrieren. Es ging um das Leben von Terri Schiavo.

Zunächst schien der Publicity-Stunt zu glücken – der gesamte Kongress ließ sich von Bush vorführen. In außerordentlicher Sitzung wurde eilig ein Gesetz beschlossen, das es einem Bundesgericht erlaubte, in der Sache Schiavo einzuschreiten. Für einen kurzen Moment durfte sich Bush als Ritter des Guten aufspielen, der alles, aber auch wirklich alles getan hatte, um die Euthanasiebewegung in Amerika im Keim zu ersticken.

Die PR-Aktion ging jedoch noch schneller nach hinten los als die Soldaten-Scharade. Die Bundesgerichte, die Terri Schiavos Eltern nun anrufen durften, entschieden, dass die Regierung in dieser Sache nichts zu melden habe. Die Mehrheit der Bevölkerung fand das auch – nur 27 Prozent fanden die Sonntagssitzung des Kongresses angemessen. Selbst in seiner eigenen Partei hat sich Bush mit der Aktion mehr geschadet als genützt: „Viele von uns haben uns im Verlauf der Woche gefragt, warum er uns dieses Theater zugemutet hat“, sagte ein anonymer republikanischer Abgeordneter der New York Times.

Der argumentative Fehler, den Bush in der Schiavo-Sache begangen hat, war es, den Fall mit der Abtreibungsfrage zu vermischen. Seit den 60er-Jahren treten die amerikanischen Abtreibungsgegner unter dem Motto „Pro-Life“ an – das Leben als Gottesgeschenk ist für sie höchstes Gut und durch den Staat vor der Mutter zu schützen.

Die Linien jener Debatte schienen bislang rechts und links sauber voneinander zu trennen. Es stand, wie der Kulturwissenschaftler Harold Bloom bemerkte, das Recht auf biologische Existenz gegen das Recht auf eine würdige Lebensperspektive des ungeborenen Fötus. Also auch in dieser Frage ging es, wie im Fall der Sterbehilfe, um die Frage der Qualität, die Leben haben muss, um als schützenswert zu gelten.

Der christlichen Rechten ist die Frage nach der Qualität gleichgültig. Das ungeborene Leben sei ihnen, so Bloom, deshalb so heilig, weil es sich bei ihrem evangelikalen Fundamentalismus bei Licht betrachtet um eine Form der Gnosis handelt. In der Gnosis ist der göttliche Funke im immer schon gefallenen, materiellen Diesseits gefangen – also auch im Körper. Im Embryo, so Bloom, sei das Göttliche noch von der gefallenen Welt unaffiziert und deshalb heilig.

Wenn die theologischen Spekulationen Blooms stimmen, dann lässt sich der Schutz des Fötus mit dem Schutz des geborenen Lebens nicht über einen Kamm scheren: Schon das geborene Baby ist nicht mehr heilig. Noch viel weniger heilig ist demnach eine schwer kranke Frau, und deshalb lässt sich für ihre Sache auch weit weniger religiöses Feuer entfachen.

Es gibt noch weitere Gründe, warum der Schiavo-Fall für die religiöse Rechte und für die republikanische Partei weniger konsensfähig ist als die Abtreibungsfrage. Die evangelikale Bewegung in Amerika ist traditionell aufseiten des Individuums. Bush hat mit seiner Kongressabstimmung nun jedoch die Regierung über das Recht von Terri Schiavo gesetzt – Gerichte in Florida hatten entscheiden, dass es Terri Schiavos Wunsch ist zu sterben.

Bush schlägt sich mit seiner Parteinahme für Terri Schiavos Eltern außerdem auf die Seite der Technologie – sowohl was die lebenserhaltenden Maßnahmen für Schiavo als auch eine mögliche Verbesserung ihres Zustands angeht. Der Glaube an die Technologie ist in den USA jedoch eine traditionell linke, säkulare Position – wie sich erst im Wahlkampf in der Diskussion um die Stammzellenforschung gezeigt hat.

Bush hat mit seinem medienwirksamen Eingreifen in den Schiavo-Fall sein eigenes Lager gespalten. Wenig tröstlich für ihn dürfte da sein, dass die Liberalen in der Schiavo-Frage ähnlich konfus sind. Die völlige Abhängigkeit von Apparaten stellt unter anderem ihren Technologie-Enthusiasmus auf die Probe. Das Spektakel um Terri Schiavo hat die politische Landschaft in den USA kräftig durcheinander gerüttelt – im besten Fall trägt es zur Aufweichung der Fronten im großen Kulturkrieg bei. Immerhin ist ein weiterer Versuch der Bush Regierung, die demokratischen Institutionen des Landes für seine fundamentalistische Agenda zu missbrauchen,damit gescheitert. SEBASTIAN MOLL