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Archiv-Artikel

Kreiselpapstes Traum

Drei Dokumentationen über die Korruption des Otto Wolf von Amerongen, die Ästhetik des Kreisverkehrs und serielle Brände: Filme von Gerhard Friedl und Volko Kamensky im Lichtmeß

von Katrin Jäger

„Unermüdlich war sein Kampf für den Abbau von Subventionen und gegen den Populismus der Sozialpolitik.“ So lobpries der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) seinen langjährigen Vorsitzenden, Otto Wolff von Amerongen zu dessen 85. Geburtstag im Jahr 2003. Im Jahr 2000 hat der Bundespräsident ihn mit dem Großkreuz des Bundesverdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Der Filmemacher Gerhard Friedl dagegen zeichnet in seinem Dokumentarfilm Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? ein gänzlich anderes Bild des einflussreichen Großindustriellen. Das Resultat: Von Amerongen war korrupt und profitierte von den Aktien enteigneter Juden. Als Mitinhaber der Stumm AG stieß er seine Anteile für eine Mark ab, half so, den Konzern in den Ruin zu treiben und kam als Einziger straffrei aus dem Konkursverfahren heraus. Neben seiner Präsidentschaft im DIHT war von Amerongen Präsident des Ostausschusses der Deutschen Industrie, hatte eine Honorarprofessur inne und bekleidete etliche Ämter und Ehrenämter. Von dieser Ämter- und der damit verbundenen Kapitalanhäufung erzählt der Regisseur in kurzen Sätzen. Dazu zeigt er assoziativ Bilder aus dem industriellen Arbeitsalltag: ratternde Maschinen, ArbeiterInnen, Empfänge, Autos, Straßen.

Doch Otto Wolff von Amerongen ist nur ein Name im deutschen Wirtschaftsklüngel. Friedl erzählt auch von Krupp, Thyssen, Daimler Benz, Oetker, Flick und, und, und; es geht um die üblichen Fragen: Wo obskure Vermittlungshonorare flossen. Wer sich selbst tötete, wer mit seinem Flugzeug abstürzte. Mit welchen Tricks sie Steuern hinterzogen. Das Netz der Kungelei verdichtet sich in knapp achtzig Filmminuten, ohne Ansatz von Entwirrung. Dafür hat der Film auf der Duisburger Filmwoche 2004 den Preis als bester Dokumentarfilm erhalten.

Ergänzt wird dies im Lichtmeß durch zwei kürzere Filmen desselben Genres, die der Hamburger Filmemacher Volko Kamensky gedreht hat. „Ich spüre eine Verwandtschaft mit Friedl, ein ähnliches ästhetisches Verfahren: Geglotze. Lange auf etwas gucken, was erst mal banal scheint.“ Bei Kamensky sind das die Kreisverkehrsplätze in Frankreich. In Zeitlupe umfährt die Kamera in Divina Obsessión eine knappe halbe Stunde lang etliche Kreisverkehrsinseln. Mal blüht in der Mitte ein Blumenteppich, mal steht dort eine Stahlstatue, mal eine Betoninstallation. Wechselnde Musiken von Klassik-Samplern untermalen die Fahrt. Zwischendurch führt der Regisseur Telefoninterviews mit Kreiselexperten vom ADAC, vom Straßenbauamt Euskirchen und mit dem in Insiderkreisen als „Kreisverkehrspapst“ bezeichneten Wissenschaftler Werner Brilon von der Uni Bochum. Schwärmereien gibt es dort zu hören: Vom „selbstregulierenden Kreislauf“ ist da die Rede bzw. vom Kreisel als „Regelprinzip der Natur“.

Im vergangenen Jahr dagegen erkundete Kamensky den kleinen niedersächsischen Ort Rotenburg an der Wümme. Daraus entstand sein neues Werk, alles was wir haben. Die Kamera fährt mit langsamen, großwinkligen Schwenks um die Einfamilienfertighäuser, das Einkaufszentrum, eine Parkanlage. Kleinstadttristesse also, wären da nicht die 13 Brände seit der Stadtgründung im zwölften Jahrhundert. „Ich betone, 13!“, verkündet die Stimme des Stadtarchivars stolz im Off. „Eine junge Frau zündete in den siebziger Jahren zweimal das Heimatmuseum an“, ergänzt die Leiterin des Heimatmuseums. Der Film ist komplett nachvertont. Alle Geräusche, vom Rasenmäher bis zum fahrenden Auto, sind synthetisch im Computer entstanden und entsprechend verfremdet. Mit diesem Auseinanderdriften zwischen Bild- und Tonebene will der Regisseur zeigen, dass der Dokumentarfilm eben nicht, wie oft suggeriert, Realität abbildet, sondern komplett konstruiert.

Die drei Dokumentarfilme sind im Rahmen des Programms „Verkehrsinseln, Brennende Heimatmuseen und Konkursdelikte“ am Do, 31.3. um 20 Uhr im Lichtmeß zu sehen. Die Regisseure sind anwesend.