: Betteln für Halligalli
Heruntergekommene Berufe: Der Museumsdirektor (Staatlicher Pflaumenaugust)
„Wo blieb sein Reich, wo blieb er selb? – / Sein Bein wird im Museum gelb.“ Tief verneigte sich Christian Morgenstern vor der ausgestorbenen Kreatur und vor dem Museumsdirektor. Zu Recht. Denn der ist selbst eine bedrohte Art. Tatmensch und Zierde der Gelehrsamkeit, Kompass und Boje im Allzuwirren der Zeitenläufe, emsig die Schätze des Erdkreises hütend vor dem Banausigen und Profanen: So stand der Museumsdirektor in der Welt. Ein Typus wie gemalt.
Er kannte Männer mit Monokeln, Männer mit rauschenden Bärten und wallendem Haar, Männer mit Bäuchen wie Fassreifen, Männer mit Denkerstirnen so hoch wie die Fenster des Ulmer Münsters, gewaltige Männer also und im Zuge von Aufklärung und Geschlechterkampf auch hohe, in beigen Kostümstoff gewickelte Frauen. Ihre Namen klangen wie Donnerhall: Giorgio Vasari (Uffizien), Robert Harley Earl of Oxford (British Museum), Jacques-Louis David (Louvre), Johann Joachim Winckelmann (Vatikanische Museen) oder Madame Tussaud (Madame Tussaud’s). Mit dieser Herrlichkeit ist es längst vorbei.
Der Museumsdirektor ist heute ein staatlich besoldeter Pflaumenaugust, Geschäftsbereich: Halligalli und Merchandising. Manchmal ist er auch Privatier wie weiland Johann Wolfgang von Goethe oder Major a. D. Dubslav von Stechlin. Letzterer las von einem Briten, der historische Türen sammelte und jene Gefängnispforte sein Eigen nannte, durch die man Ludwig XVI., Danton und Robespierre zur Guillotinierung führte. „Diese Notiz“, schreibt Fontane, habe so großen Eindruck auf den Major gemacht, „dass er auch solche historische Türensammlung anzulegen beschloß“. Er sei aber nicht weit damit gekommen, sondern habe sich „mit dem Küstriner Schloßfenster begnügen müssen, an dem Kronprinz Friedrich stand, als Katte zur Enthauptung vorübergeführt wurde. Doch auch das ist unsicher, ja, die meisten wollen nichts davon wissen.“ Dem alten Stechlin ist’s wurscht.
Dem modernen Museumsdirektor nicht. Ihm drückt das öffentliche Desinteresse zentnerschwer aufs Gemüt. Und auf die Haushaltskasse. Man sieht ihn durch Sponsorenbüros kriechen, man sieht ihn bettelnd vor Ministersesseln liegen, sieht ihn Absinth gurgelnd über Versicherungspolicen brüten und man sieht ihn heimlich weinen. Weshalb diese Spezies unbedingt zu den heruntergekommenen Berufen gezählt werden muss. Das ist sehr traurig. Denn sie kann nichts dafür. Anders als Schiedsrichter, Grünen-Funktionäre oder Fernsehmoderatoren, deren sprichwörtliche Abgehalftertheit eine durchaus selbst verschuldete ist.
Museumsdirektoren dagegen sind Opfer. Opfer der Politik, des Sparwahns und Opfer der Generalverblödung weiter Kreise des Abendlandes. Wie um dieses Elend zu illustrieren, kam es in einem Beispielfall rund um Hannovers Landesmuseum zum Eklat. Steine des Anstoßes waren ein finanzieller Engpass und zwei Clownfische. Die Tierchen schwimmen seit Jahren ungestört durch das Aquarium des Hauses. Sie taten das auch, als der Disney-Konzern seinerzeit die Frutti-di-mare-Konserve „Findet Nemo“ in die Kinos schickte, deren Hauptdarsteller ebenfalls aus der Art der Clownfische stammt. Anstatt den „Rummel zu nutzen“, täte die Direktorin des Museums „nichts“, mäkelte das lokale Feuilleton und geißelte ein „kleines Versäumnis mit großer Symbolkraft“. Man attestierte der Museumsdame „Lethargie“ beziehungsweise „Mutlosigkeit“ und forderte ein Bekenntnis zur „Event-Kultur“.
Das Ergebnis hätte im vorliegenden Fall doch wohl so ausgesehen: Heulende Kindlein, geifernde Erzieher, wütende Leserbriefe und eine endlose Prozesswelle. Tenor: Betrug und Geld zurück, „weil, Herr Richter, die Museumsfische konnten ja überhaupt nicht sprechen“.
Unschön auch, dass sich in einem Blatt auswärtige Direktorenkollegen dafür hergaben, am Ruf des hochrenommierten Museums zu kratzen. Anonym selbstverständlich.
Noch heruntergekommener agierten nur Niedersachsens Landesregierung und der Betreiber des Museumsshops. Das Land, weil man dem Haus erst 300.000 Euro aus dem Etat strich, um nachher lauthals Strukturprobleme zu beklagen. Die Firma Cedon, weil man den Museumsshop kündigte und seinen Tinnef lieber in Berlin feilbietet. Genauer gesagt im Jüdischen Museum. Dort verramscht Cedon 3.000 Jahre israelitische Kultur unter anderem mit dem Mousepad „Barbie und Ken“, das die Doofpuppen mit Kippah und Tallit, also mit Käppchen und Gebetsschal zeigt.
So kann es mit den Museumsdirektoren nicht weitergehen. Sonst droht ein Kulturschock – zum Beispiel wenn die Museumschefs auf die Idee kommen, es einem gewissen Direktor Bondi nachzumachen. Im Horrorklassiker „House of Wax“ angelt sich Bondi alias Vincent Price die Kunden persönlich von der Straße. Dann bringt er sie um die Ecke, präpariert ihre Leiber und stellt sie kostümiert als historische Figuren in sein Kabinett.
MICHAEL QUASTHOFF